Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
alten Kriegskameraden namens Bernhard V. O'Hare, ob ich ihn besuchen könnte. Er war Bezirksstaatsanwalt in Pennsylvania. Ich war Schriftsteller in Cape Cod. Im Krieg waren wir gewöhnliche Soldaten, Infanterieaufklärer, gewesen. Wir hatten nie erwartet, nach dem Krieg zu Geld zu kommen, aber es ging uns ganz gut.
    Ich beauftragte die Bell-Telefongesellschaft, ihn für mich ausfindig zu machen. Sie ist darin wundervoll. Manchmal spät nachts bin ich in dem ungesunden Zustand, der Alkohol und das Telefon einschließt.
    Ich betrinke mich und verjage meine Frau mit einem Atem wie Senfgas und Rosen. Und dann spreche ich gesetzt und elegant ins Telefon hinein und bitte die Telefonistinnen, mich mit diesem oder jenem Freund zu verbinden, von dem ich seit Jahren nichts mehr gehört habe.
    Auf diese Weise bekam ich O'Hare an den Apparat.
    Er ist kleinwüchsig, und ich bin groß. Wir waren Pat und Patachon im Krieg. Wir wurden zusammen im Krieg gefangengenommen. Ich sagte ihm, wer am Telefon war. Er hatte keine Schwierigkeit, es zu glauben. Er war noch auf. Er las. Alle anderen in seinem Haus schliefen.
    »Hör zu « , sagte ich, »ich schreibe dieses Buch über Dresden. Ich hätte gerne, daß du mir mit Erinnerungsmaterial hilfst. Ich möchte gern wissen, ob ich dich besuchen kann, wir könnten dann etwas trinken, miteinander plaudern und uns erinnnern. «
    Er war nicht begeistert. Er meinte, er könne sich nicht an viel erinnern. Trotzdem forderte er mich auf, ich solle zu ihm kommen.
    »Ich glaube, der Höhepunkt des Buches wird die Hinrichtung des armen, alten Edgar Derby sein « , sagte ich. »Die Ironie ist so überwältigend. Eine ganze Stadt wird in Schutt und Asche gelegt, und Tausende und aber Tausende von Menschen werden getötet.
    Und dann wird dieser eine amerikanische Fußsoldat in den Ruinen verhaftet, weil er einen Teekessel an sich genommen hat. Und es findet eine richtige Gerichtsverhandlung gegen ihn statt — und dann wird er von einem Exekutionskommando erschossen. «
    »Hm « , meinte O'Hare.
    »Glaubst du nicht, daß wirklich dort der Höhepunkt sein sollte? «
    »Ich weiß nichts davon « , erwiderte er. »Das ist deine Sache, nicht meine. «

    Als Hökerer in »Höhepunkten « und Schauergeschichten, in Charakterisierungen, wundervollen Dialogen, Spannungen und Konfrontationen hatte ich die Dresden-Geschichte oftmals in groben Zügen umrissen. Die beste oder jedenfalls die hübscheste Geschichte, die ich jemals davon gemacht habe, stand auf der Rückseite einer Tapetenrolle.

    Ich benutzte die Buntstifte meiner Tochter, jeweils eine andere Farbe für jede handelnde Hauptperson.
    Am einen Ende der Tapete war der Anfang der Geschichte, und das andere Ende enthielt den Schluß, und dann gab es diesen ganzen mittleren Teil, der die Mitte war. Und die blaue Linie traf mit der roten und dann mit der gelben Linie zusammen, und die gelbe Linie hörte auf, denn die durch die gelbe Linie verkörperte Person war tot. Und so fort. Die Vernichtung Dresdens wurde durch eine senkrechte Gruppe orangefarbener Kreuzschraffierungen dargestellt, und alle Linien von noch Lebenden gingen durch sie hindurch und kamen an der andern Seite heraus.
     
    Das Ende, wo alle Linien aufhörten, war ein Zuckerrübenfeld an der Elbe. Regen strömte herunter.
    Der Krieg in Europa war seit zwei Wochen zu Ende.
    Russische Soldaten bewachten uns, als wir in Reih und Glied antreten mußten — Engländer, Amerikaner, Holländer, Belgier, Franzosen, Kanadier, Südafrikaner, Neuseeländer, Australier, Tausende von uns, die jetzt nicht länger Kriegsgefangene sein sollten.
    Und auf der anderen Seite des Feldes tummelten sich Tausende von Russen, Polen, Jugoslawen und so weiter, bewacht von amerikanischen Soldaten. Ein Austausch wurde dort im Regen vorgenommen - Mann für Mann. O'Hare und ich kletterten mit vielen anderen hinten auf einen amerikanischen Lastwagen.
    O'Hare hatte keinerlei Andenken. Fast jeder andere hatte welche. Ich hatte einen Ehrendolch der Luftwaffe, habe ihn noch. Der rabiate kleine Amerikaner, den ich in diesem Buch Paul Lazzaro nenne, hatte eine ganze Handvoll Brillanten, Smaragde, Rubine und so weiter. Er hatte sie den Toten in den Kellern von Dresden abgenommen. So geht das.
     
    Ein geistesschwacher Engländer, der irgendwo alle seine Zähne eingebüßt hatte, verstaute seine Andenken in einem Segeltuchsack. Der Sack lag auf dem Rist meines Fußes. Der Engländer guckte von Zeit zu Zeit in den Sack, rollte die Augen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher