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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail
Autoren: Venushaar
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weihen. Weil es, im Unterschied zu Petrus, in Rom gewesen
ist. Denn wenn es schon einmal irgendwo etwas einzig Wahres gibt, so sucht man
es nicht dort, wo man es verloren hat, sondern in Rom, wo sowieso etwas nicht
stimmt mit der Zeit - sie vergeht nicht, sammelt sich an, füllt die Stadt bis
zum Rand, als hätte einer das Kolosseum als Stöpsel in den Abfluss gesteckt. Denn
wo Liebe war, kann nichts sie ungeschehen machen. Und wer liebt, kann unmöglich
sterben. So liege ich des Nachts schlaflos und gedenke all derer, die ich
liebte. Blind, wie ich bin, sehe ich sie deutlich vor mir. Seine alten Tage in
Einsamkeit zu fristen ist wahrlich nicht leicht. Und ich hätte so gern ein Kind
gehabt! Denn das Kind, das ich damals im Museum von Ostankino in mir trug,
verwandelte sich, noch ehe es geboren, in ein Fischlein und schwamm davon. Und
also betete ich: Kräutlein, Kräutlein, gib mir noch einmal ein Kindlein! - Ja
sag mal, du bist doch schon viel zu alt dafür! - Na und? - Du hast deine
Wechseljahre längst hinter dir! - Und wenn? Was hat das damit zu tun? Sarah
hatte das auch schon lange hinter sich, und trotzdem kriegte sie eins von dir!
Tu ein Wunder, was kostet dich das! Da sprach das grüne, grüne Gras: Na schön,
von mir aus. Du lässt ja doch nicht locker. Geh zum Bäcker und kauf ein
Borodinobrot, dann kriegst du dein Kindlein! Ich also zum Bäcker gewackelt,
ganz krumm und am Stock, da kommt mir eine Zigeunerin entgegen, die ist
dreihändig. Und pitschenass ist sie auch, wie gerade durch den Fluss
geschwommen. Im einen Arm hält sie ein tropfendes kleines Kind, in der zweiten
Hand eine angebissene Birne. Mit der dritten streicht sie mir über den Kopf und
sagt: Ich bin gerade erst den Räubern entkommen und noch ganz nass. Mach dir
nichts draus, dass ich Zigeunerin bin. Keine dahergelaufene! Rein bin ich und
unbefleckt, keine Spuren sind geblieben, kein Riss und keine Naht, unberührt wie
das Schilfmeer, das sich auftat und hinterher wieder schloss. Sie spuckt auf
ihre Birne und hält sie mir hin: Probier mal! Ich beiße ab, nichts Süßeres als
diese Birne ist mir im Leben untergekommen. Dann tappe ich weiter, Brot holen -
da merke ich auf einmal, dass ich schwanger bin. Mir ist übel. Ich halte mich
am Zaun fest und übergebe mich. Wische mir den Mund aus mit brackigem Schnee.
Am anderen Morgen wachte ich auf und dachte: Na, das werd ich wohl alles
geträumt haben! Aber dann sah ich mich im Spiegel und traute meinen Augen
nicht: Ich bin wieder jung! Die Brüste prall! Der Bauch schon zu sehen! Oje,
dachte ich erschrocken, was werden die Nachbarn sagen? Jetzt ist die Alte ganz
übergeschnappt! Ich ging den Leuten aus dem Weg, suchte meinen Bauch zu verbergen.
Aber wie soll das gehen? Wächst er doch von Tag zu Tag, was sag ich, von Stunde
zu Stunde! Und da drinnen ist was los! Das pralle Leben! Mein Pünktchen ist
zurückgekommen zu mir! Ich horche in mich hinein, das Kind bewegt sich. Immer
noch versuche ich meine Schwangerschaft vor den anderen geheim zu halten, den
Bauch einzuschnüren - verlorene Liebesmüh, ich bin aufgegangen wie ein
Hefekuchen. Also ziehe ich mich ganz zurück, verlasse das Haus nicht mehr.
Liege nur noch im Bett. Irgendwann muss es so weit sein mit der Geburt. Und da
geht es los, mitten in der Nacht. Oh, oh, ich kann nicht mehr. Die Wehen!
Furchtbare, unerträgliche Schmerzen. Ich quäle mich, es zerreißt mich fast, und
doch wage ich nicht um Hilfe zu rufen. Und auf einmal kommt es aus mir
geschossen wie aus der Kanone. Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Ich sehe
nichts, man müsste Licht machen. Ich taste mit der Hand im Finsteren auf dem
Nachttisch herum, verheddere mich in der Schnur, und die Lampe kracht polternd
zu Boden! Ich versuche aufzustehen, doch die Kräfte versagen mir. Ich bin
ausgerutscht in irgendetwas, mit dem Kopf aufgeschlagen. Liege da, kann alles
hören, alles sehen, doch irgendwie sonderbar, wie durch Glas - als läge ich
nicht auf dem Fußboden, sondern stünde auf dem Balkon, blickte von dort ins
Zimmer hinein und sähe mich in einer Pfütze vor dem Bett liegen, neben mir die
zerschlagene Lampe. Da kommt jemand rein und sagt: Ach, jetzt hat sie endlich
ausgelitten... Und um mich her ist tiefe Nacht. Und alle schlafen. Auch der
Wind schläft. Auch all die müde gelaufenen Schuhe, Sandalen, Pantoffeln
schlafen. Die Mutter schüttelt's Träumelein, fällt herab ein Kindelein, das
Bäumlein hüt' den Schlaf. Rom schläft. Stadt der Toten, denn sie leben
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