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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail
Autoren: Venushaar
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Topf mit Erde gesteckt, inzwischen ist
ein Bäumchen draus geworden. Das ist wie Silvester, wenn sie in London gerade
anfangen, den Tisch zu decken, und in Japan sind schon alle besoffen. Freitags
gibt es Rente - ich sitze erwartungsvoll da, weil Freitag ist, und zur selben
Zeit sind die Freitagswolken noch irgendwo in der Wasserleitung. Der in der
Zelle ist noch dabei, sein Boot in die Wand zu kratzen, und schwimmt darin
schon auf dem Tiber Richtung Orvieto. Eben verkünde ich meinen lieben Schülern
im Unterricht, dass nur alte Weiber an den lieben Gott glauben - und krächze im
selben Moment in mein Kopfkissen: Vater unser, der du bist im Himmel, dabei
denke ich noch, Vater unser, das ist schön gesagt... Ich danke für jeden Tag,
den ich erleben durfte, für die Liebe, die mir geschah. Und ihr entschuldigt
bitte, dass ich euch einreden wollte, es gebe für Gott keine Beweise. Das ist
Unfug! Jedes Wunder ist ein Beweis. Und der Tod ist ein Wunder. Ich sterbe!
Welcher Beweise bedarf es noch? Nur dass man sich von Gott so komische Bilder
macht, mit Rauschebart und griechischem Gewand. Dabei ist er vielleicht in
Wirklichkeit gar nicht der düstere Alte auf seinen Freitagswolken in der
Wasserleitung, sondern einer von diesen Bernsteinsuchern, die im Urlaub mit
leerer Streichholzschachtel den Ostseestrand ablaufen - unverwandt starrt er
in den ans Ufer geworfenen Tang, und wenn er vorbeigeht, hört man die
Muschelschalen unter seinen Sandalen knacken. Falls es nicht die Marktfrau ist,
die seinerzeit zu mir sagte: Nun nehmen Sie doch von den Guten, Frau, wozu denn
dieses mistige Zeug? Oder der Wirrkopf, der nämlich mit h schrieb und auch
sonst alles auf der Welt durcheinanderbrachte. Am wahrscheinlichsten aber ist
es nicht er und nicht sie und kein Dritter, sondern etwas sehr Schlichtes, ein
Farnkraut zum Beispiel oder sonst ein grünes, grünes Gras, das da wild vor sich
hin wächst, wurzeln kann in jeder Ritze. Es gab eine Zeit, da wusste man, dies
ist Gott aus der Familie der Kryptogamen, doch das Wissen ging verloren. Jetzt
werden nur noch Tempelruinen besichtigt, und das Wesentliche wird übersehen:
dass Tempel nur die Stelle bezeichneten, wo einmal ein heiliger Berg oder Hain
sich befand - die Bernsteinsucher, Wirrköpfe, düsteren Alten wohnten ja nicht
in Altären, sondern in Wipfeln, im Wind und im Gras. Auf das Kräutlein kommt es
an. Davon, dass der Glauben an den Urgott sich verliert, stirbt es nicht aus,
verzieht sich nur ein Stück beiseite, wohnt dort unauffällig, unerkannt. Das
Haus für alle Götter, weißt du noch? Weil nun mal immer alles gleichzeitig
passiert, gehst du just in diesem Moment mit ihr - hat sie schon die Narben am
Bein oder noch keine? Egal! - durch die Via dei Pastini zur Piazza della
Rotonda, und da steht es, das Heiligtum aller Heiligtümer - etwas verloren im
Gedränge der Häuser, von allen Seiten angerempelt durch architektonische
Wegelagerer. Unter den Säulen gehen alte Römer in Plastikrüstungen den Touristen
um den Bart - vielleicht die Strelitzen vom Roten Platz, nur verkleidet. Ihr
schiebt euch durch die riesige, nur einen Spalt offene Bronzetür mit der Patina
von Jahrhunderten, und ein kühler Luftzug fährt über die nackte, schweißnasse
Haut, als striche etwas (unsichtbare Katze, Katzengott?) zwischen den Beinen
hindurch. Eintritt aus der Glut in Düsternis und Kühle. Das Kuppelauge zieht
alle Blicke hinan. Es ruht auf einer schrägen Säule aus Licht. Staub, Dunst. Um
die Öffnung kreisen Insekten, leuchten auf im Spot. Altes Foto auf einer
Schautafel: Hochwasser; Boote (Bootgötter?) schwimmen durch die Rotunde. Immer
wieder zieht es den Blick zur Pupille empor. Dort oben irgendwo, hoch über den
Köpfen, in den Kassetten der hallenden Kuppel, fanden jene Zuflucht, deren
Absetzung Kaiser Theodosius in seiner Naivität zu dekretieren suchte, als er
achtundzwanzig Wagenladungen Gebeine aus den Katakomben zu schaffen befahl, um
Wohnraum zu gewinnen für die unbefleckte Maria nebst Märtyrern. Nach dem Motto:
Was macht ihr euch hier so breit in euern Luxusgemächern! Wir rackern uns ab,
und ihr habt's hier fein! Na, jetzt weht hier ein andrer Wind! Jetzt wird
zusammengerückt! Eng, aber gemütlich - oder etwa nicht? Reich wird man eh nicht
mit rechten Dingen! Sich waschen, aber nicht nass machen wollen, das geht nun
mal nicht. Liebe reimt sich auf Hiebe. Wir haben hier einen Räumungsbescheid
vorliegen, aber wie soll man hier räumen, kann mir das einer sagen? Die
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