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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail
Autoren: Venushaar
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Wo kommen Sie denn her?, fragt der Orotsche, Ihr Gesicht
kommt mir bekannt vor, woher kennen wir uns? Ich bin doch nie aus Rom
rausgekommen, hab die Nase niemals in den Wind gehalten. Eine weiße Birke,
zitternd, ohne Blatt, die der Schnee, so wirkt es, zart versilbert hat, das ist
alles, was ich kenne. Wie kommen Sie dazu, hier mitzurennen? Das ist doch mein
Rennen! Mein Sterben! Oder bin ich etwa schon tot? Sie können mich nicht
kennen, erwidert der andere, denn ich bin es, der seit Langem tot ist, während
Sie noch am Leben sind. Ich komme Ihnen nur insofern bekannt vor, als wir alle
Ihm zum Bilde geschaffen sind: Malst zwei kleine Henkel dran, fertig ist der
Hampelmann, und die Seele, genau wie der Körper, riecht nach sich und dem, was
man gegessen hat. Wichtig wäre, ich erinnerte mich, ob mein Arm nach oben
gestreckt war oder nach hinten abgeknickt. Fürchte, es wird mir nie wieder
einfallen. Aber für Sie ist das jetzt unerheblich. Sie müssen leben. Shenja,
Aljoscha und Witenka brauchen Sie. Ich laufe an Ihrer Stelle. Aber Sie sind
doch gar kein Jude!, wundert sich der Orotsche. Ja, wissen Sie denn nicht, sagt
der andere lächelnd, dass kein Jude, noch Grieche ist in König Macius
Königreich? Gehen Sie getrost nach Hause, essen Sie Ihr Abendbrot, schalten Sie
den Fernseher ein, spielen Sie mit den Kindern, lesen Sie ihnen zum Einschlafen
die Geschichte vom schlauen Urfin und seinen Holzsoldaten vor. Dann ziehen Sie
den Wecker auf und gehen ruhig schlafen, derweil werde ich hier für euch alle
ins Rennen gehen. Für die Juden und die Sarmaten und die Orotschen und die
Tungusen und die Kaiser und die Philosophen. Gehen Sie schon, Sie werden
erwartet! Und seien Sie vorsichtig! Immer schön nach links und nach rechts
sehen! Die rasen hier alle wie die Besengten!... Also trabt er los. Zieht
vorbei an einzelnen Fußgängern und Touristengruppen. Springt über Gullydeckel,
unter denen der Senat und das römische Volk lauern. Läuft den Corso hinunter in
Richtung Piazza Venezia, wo er so lange nicht über die Straße kommt, bis ein
todesmutiger Stadtführer, das Bambusstöckchen wie ein Florett führend, sich dem
Verkehrsstrom entgegenwirft. Hat man die Stufen erklommen und dreht sich um,
sieht man nur noch den Schwanz vom Hengst Viktor Emanuels und die drohend über
Rom schwebenden Rosspflaumen darunter. Die Vögel über dem Kapitol haben sich
wieder zu einer gogolschen Nase ausgestülpt. In die eimergroßen Nüstern halten
siebenhundert Engel Einzug. Auguren verfolgen den Nasenflug, um ihre Voraussagen
zu treffen. Eine Katze, auf einem Auge blind, eilt zum Forum. Auf der Via Sacra
sind die Steinplatten abwechselnd nach innen und nach außen gewölbt, den
Triumphwagen des Siegers muss es ordentlich gerüttelt haben. Lacus Curtius, der
Heilige See, ist deutlich kleiner als die große Frühjahrspfütze auf dem Markt
bei uns in Frjasino. Unter dem Triumphbogen des Septimus Severus raste ich.
Setze mich auf einen Sims, esse Reis mit Huhn und Shrimps. Und das da ist der
Mamertinische Kerker. Sagen Sie, wo war das noch mal, wo sie Cäsar umgebracht
haben? Gemach, gemach, so weit sind wir noch nicht, er ist noch nicht
umgebracht worden, er lebt. Das hier war jedenfalls das erste politische
Gefängnis am Platze. Es kommt uns recht klein vor - zwei Räume nur, einer oben,
einer unten. In den unteren gelangt man durch ein Loch aus dem oberen. Im
oberen Raum befindet sich ein Petrus geweihter Altar, Petrus soll der Legende
nach vor seiner Hinrichtung hier in Haft gewesen sein, aber das lässt sich
nicht belegen, während wir in Tacitus' Annalen einen Bericht darüber lesen
können, wie der Prätorianerpräfekt Sejan hier zu Tode kam, der eine
Verschwörung gegen Tiberius anzuzetteln versucht hatte. Der Leichnam des
gescheiterten Rebellen wurde der Wut des Pöbels preisgegeben, nach drei Tagen
landete er im Tiber. Doch dem nicht genug: Als Nächstes wurden seine Kinder
herbeigeschafft. Die Jüngste verstand noch nicht, wie ihr geschah, fragte immer
wieder, wegen welchen Vergehens sie denn weggebracht werde und wohin; sie
verspreche, es auch bestimmt nicht mehr zu tun, und man könne sie doch, wie man
das bei Kindern mache, mit der Rute züchtigen. Gewährsleute aus jener Zeit
berichten, ihr sei, da es für die Hinrichtung eines unschuldigen kleinen
Mädchens keinen Präzedenzfall zu geben schien, vom Henker unterm Strang noch
die Unschuld geraubt worden, ehe man sie erdrosselte. Diesem Mädchen aber wird
keiner einen Altar
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