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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Autoren: Leif Randt
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Die Sicherheitsabteilung der neuen Regierung hat eine radikale Kommunikationsform gewählt: Auf allen Bildschirmen ist in dieser Zeit nur noch eine einzige Meldung zu lesen, nämlich die von der sofortigen Evakuierung, versehen mit losen Anweisungen, auf welche Dokumente nun Wert zu legen sei und wie man seine Besitztümer schützen könne. Ich versuche es auf allen Webseiten und Kanälen, doch es öffnet sich nur immer wieder dieselbe Infotafel.
    Es fahren drei mal zwölf Shuttlebusse von Station zu Station und dann raus aus der Stadt. An jeder Haltestelle warten Bewohner neben Sporttaschen und Rollkoffern, mit Rucksäcken auf dem Rücken und Leinenbeuteln in der Hand. Das Gepäck ist begrenzt und es wurden die Tresore der Stadtarchive für jene Bewohner bereitgestellt, deren Apartments und Häuser über keine geeigneten Sicherheitsboxen für externe Festplatten verfügen. An den Haltestellen wird viel gelacht, beim Vorübergehen höre ich nervöse Gags, teils fremde Running Gags, die sich mir nicht erschließen, aber vor allem selbstironische Kommentare über unseren Ausnahmezustand, der nicht nur von den Senioren in eine Art Bonusurlaub umgedeutet wird.
    Ich habe drei Anrufe meiner Mutter nicht mehr angenommen. In den beiden vorausgegangenen Gesprächen hatte ich mich bereits wiederholt: »Du wirst mich nicht umstimmen können« , habe ich da jeweils gesagt, und weil ich dabei auch bleiben möchte, hebe ich jetzt einfach nicht mehr ab. Auch ihre Kurznachrichten stehen nur kurz auf meinem Display, ich lösche sie rasch. Als mich eine Nachricht von Tom O’Brian erreicht, lese ich jedoch aufmerksam, da es seine erste in sieben Jahren ist:
    ›Wimboy, ich mache mir auch Sorgen. Aber wenn du es für richtig hältst, das Risiko einzugehen, dann bleib. Geh in den Hotelturm, wenn es hart auf hart kommt. Es gibt keinen sichereren Ort als unsere Suiten!‹
    Am nächsten Tag, als gegen sechs Uhr am Morgen die letzten Busshuttles davongefahren sind, ist die Sonne schon überhaupt nicht mehr zu sehen. Die Stadt wirkt menschenleer, doch für den Abend haben CarlaZwei und ich all jene zusammengerufen, von denen wir glauben, dass sie ebenfalls hiergeblieben sind. Auf unserer Liste standen neben ihren engsten Freunden auch einige meiner ehemaligen Klienten sowie fünf ehemalige Mitschüler. Die Rundmail blieb unbeantwortet, nur von Wesley und Frank wussten wir sicher, dass sie kommen würden.
    Im Souterrain unter den Suiten befindet sich das Bistro des O’Brian-Hotelturms, hier frühstücken im Winter die Mitarbeiter und Freunde des Hauses, normale Gäste können hier zu ungewöhnlichen Tageszeiten kleine Snacks bestellen. Wir haben zwei Töpfe mit Fischsuppe angerührt, daneben Baguettestangen in einen Korb gelegt sowie alkoholische Getränke für gut zwanzig Gäste kalt gestellt. Ein rechteckiges Fenster ermöglicht den Blick aufs Meer. Die ersten Stunden verbringen wir zu viert, in der Annahme, dass vielleicht noch jemand dazustoßen wird, und ich bemühe mich, unser kleines Buffet nicht als pathetische Angstgeste wahrzunehmen. Deshalb haben wir uns auch vielfarbig angezogen, um nicht besorgt zu wirken, um sozusagen optimistisch zwischen den anderen zu stehen. Wir gingen ja davon aus, dass die meisten in gedeckter Abendgarderobe erscheinen würden. Doch nun ist ja fast niemand erschienen, und Frank trägt ein grellblaues Poloshirt und Wesley sogar eine Art Hawaiihemd. Im Grunde sehen wir heute so aus, als entstammten wir einem ganz anderen Milieu, als wären wir zum Beispiel schon über fünfunddreißig und würden mit Bieren in der Hand um einen Gartengrill herumstehen. Wir strahlen etwas ernsthaft Verzweifeltes aus, scheint mir, aber ich sehe den anderen an, dass sie das so ähnlich einschätzen, und das macht es leichter. Das macht es sogar fast schon wieder gut. Ich schmunzle, und Wesley schmunzelt zurück, aber ich weiß, dass wir aneinander vorbeischmunzeln.
    Er ist der Letzte, der noch ein Telefonat führt. Er spricht mit seiner Mutter und wirkt dabei sehr konzentriert, er verwendet die Wörter ›Energie‹ , ›Zukunft‹ und ›Stärke‹ . Als er aufgelegt hat, erzählt er uns, dass seine ›Mum‹ fest davon ausgeht, dass uns nichts passieren wird.
    Zuerst will ich schweigen, aber dann sage ich es doch: »Ich finde leider nicht, dass das ein gutes Omen ist.« Ich sage es nicht sehr laut, aber danach schweigen erst mal alle.
    Der große Knall wurde für zwei Uhr nachts prognostiziert. Keine TV-Anstalt wird live
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