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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Autoren: Leif Randt
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telefoniert. Da ist alles in Ordnung und geregelt.«
    »Das freut mich. Willst du immer noch keinen Kaffee?«
    »Bitte nicht.«
    Dann lacht meine Mutter und sagt, dass sie nun stabile Halbschuhe kaufen gehe, für den Fall, dass sie Tom für die Zeit der Evakuierung zu einem Wanderurlaub motivieren könne. »Möchtest du mir bei der Auswahl helfen?«
    »Ich kann leider nicht. Ich bin noch verabredet …«
    »Na gut!« Meine Mutter breitet zum Abschied ihre Arme aus. Sie hält mich länger fest als sonst. Und als sie bereits davongeht, rufe ich: »Hey Mum … meinst du, dieses Unwetter könnte echt wesentlichen Schaden anrichten?«
    Sie bleibt noch einmal stehen und zieht für einen Moment ihre Brille ab. Die Haut um ihre Augen scheint leicht gerötet, aber das kann ich aus dieser Entfernung nicht wirklich beurteilen. »Ich hoffe nicht« , ruft sie.
    Auf CobyCountySpotlights ist zu lesen, dass rekordverdächtig viele Flüge und Züge ausgebucht sind. Die Touristen verlassen die Stadt. In einem Videobeitrag wird ein dreißigjähriger Mann porträtiert, ein jungenhafter deutscher Grafikdesigner, der vorschlägt, dass die Flug- und Zugcompanys ihre Resttickets doch bitte per Auktion versteigern sollten. Alles andere halte er für geheuchelt. Ihm habe es bisher jedes Jahr in CobyCounty gefallen, doch im Augenblick wolle er nur noch weg von hier. Auf die Frage, ob er nächstes Jahr wiederkomme, antwortet er, dass er das bislang noch von keinem nächsten Jahr gewusst habe. Ich schaue noch zwei weitere Videos, in denen verärgerte Touristen angetrunken zu Wort kommen. ›Was sagen die Einheimischen?‹ , lautet die Überschrift eines Leitartikels, der auf die Videofenster folgt. Der Text hat viele Aufrufe, ihm ist jedoch anzumerken, dass er besonders die trotzigen und optimistischen Stimmen herauskehrt, jene, die sagen, dass unsere Stadt den Starkregen und die Sturmböen schließlich aus den Monaten Januar und Februar gewöhnt sei. »Unsere Architektur ist jedem Sturm gewachsen« , wird ein blonder Junge zitiert, von dem auch ein Foto zu sehen ist und der nicht viel älter als zwölf sein kann. Die letzten Sätze des Leitartikels verweisen auf die widersprüchlichen Aussagen verschiedener Prognoseexperten und loben die Haltung der Bewohner als ›angstlos, aber niemals naiv‹ .
    In den Kommentaren zu dem Artikel, zu denen ich hinabscrolle, ist von ›Augenwischerei‹ und ›Verklärung‹ die Rede, und einige dieser Kommentare scheinen tatsächlich in CobyCounty geschrieben worden zu sein. Es kommt mir vor, als stieße das Understatement einiger Bewohner nun an eine Grenze, als glaubten Einzelne, dass sie schon viel zu lange geschwiegen hätten. Ihre Kommentare sind viele Zeilen lang, gepresst und peinlich und voller Wut. Es sind Texte von Menschen, mit denen ich niemals zu tun haben möchte, ob sie nun aus CobyCounty stammen oder nicht. Trotzdem scrolle ich immer weiter nach unten, immer tiefer in die Diskussion hinein, und nach sechs, sieben, acht weiteren Kommentaren passiert es mir dann. Ich poste:
    ›Niemand verfügt über einen realistischen Querschnitt durch CobyCounty. Der Journalist bildet lediglich ab und zeigt auf, dass es auch Menschen gibt, die noch skeptisch sind und bleiben wollen. Und die von ihm in Szene gesetzten Stimmen gefallen mir: Sie haben Kraft.‹
    Ich nehme mir fest vor, später auf gar keinen Fall nachzusehen, ob andere User auf meinen Kommentar antworten.

20 ↵
    »Ich werde diese Stadt vorerst nicht wieder verlassen« , sagt Wesley mit wehendem Haar, und Frank, der sich die Collegejacke seines Freundes übergeworfen hat, nickt mit großen Augen. Wir stehen als neue Paare auf der Promenade, CarlaZwei neben mir. Sie wollte Wesley gerne kennenlernen, schließlich habe ich ihr schon manches erzählt, vor allem von früher, aber auch davon, dass er vor kurzem durch die Vereinigten Staaten gereist ist, so ähnlich wie sie einmal, nur mit anderen Folgen wahrscheinlich. CarlaZwei beißt in eine Waffel mit Puderzucker. Es kommt mir so vor, als esse sie den ganzen Tag. Dass trotzdem kein Gramm Fett an ihrem Körper zu erfühlen ist, bewundere ich. Sie ist mit einem fantastischen Stoffwechsel ausgestattet, sie hätte das Potenzial, eine große Sportlerin zu sein, aber sie hat sich für ihr kritisches Bewusstsein entschieden, dafür, nie ein Wort zu viel zu sagen, und für das Keyboarden. Über Frank wusste sie, dass ich ihn zwar für einen eher unadäquaten Boyfriend halte, aber damit jetzt kein Problem
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