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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Autoren: Leif Randt
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mehr habe. Ich höre den dreien beim Reden zu. Sie tauschen sich über die Gegenwart aus, auf einem hohen Niveau, wie ich finde, über die Stimmung auf den Straßen, darüber, dass im Augenblick alles etwas bedrückend ist, aufgrund der schnell ziehenden Wolken, der Starkregenschauer und der Angst dieser teils dümmlichen Touristen. Ich wundere mich, als CarlaZwei das Wort ›dümmlich‹ verwendet, einerseits weil ich es für ein Wort halte, das schon nach so kurzer Zeit von mir auf sie übergegangen zu sein scheint, und andererseits weil es mich gar nicht irritiert, dass sie dieses Adjektiv in Bezug auf unsere attraktiven Touristen benutzt. Ich empfinde es auch gar nicht als gefährlich, dabei weiß ich doch, dass es immer gefährlich ist, ganzen Menschengruppen einzelne Vokabeln zuzuordnen.
    Frank zeichnet mit den Spitzen seiner Turnschuhe Halbkreise in den Sand, der sich feucht auf die Promenade gelegt hat. Er wirkt jetzt schüchtern, so als hätte er Angst vor CarlaZwei, die mit ihrer Puderzuckerwaffel so aufrecht und fantastisch neben mir steht. Frank spricht wie mit sich selbst, den Blick auf den Boden gerichtet: »Ich wohne hier zwar noch nicht so lange wie ihr, aber doch fühle ich mich mit eurer Stadt sehr verwachsen. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist. Aber gerade weil jetzt alle diese Leute wie irre aus CobyCounty herausdrängen, will ich auf jeden Fall hierbleiben …« Frank kommt mir in diesem Augenblick maximal ehrlich vor. Es fällt mir schwer, meine Abneigung ihm gegenüber noch wachzurufen. Wesley umgreift seine rechte Hand. Darauf reagierend umfasst auch CarlaZwei meine Hand. Und dann stehen wir jeweils Hand in Hand voreinander und schauen uns in die Augen. Einige der Touristen, die Eiscreme essend über die Promenade flanieren, blicken uns an. Wir könnten leicht wunderlich, vielleicht sogar religiös auf sie wirken. Plötzlich greift Frank nach der Hand von CarlaZwei, sie wundert sich und schaut mich an, und als dann Wesley seine Hand nach meiner ausstreckt, schüttle ich den Kopf.
    Unsere Wege trennen sich an einem Crêpestand. Frank gibt dem Bäcker Instruktionen, er kennt ein besonderes Rezept und das will er uns zeigen. CarlaZwei verabschiedet sich zuerst von ihm und dann von Wesley, »bis bald« , sagt sie und klingt aufrichtig freundlich dabei. Ich umarme Frank und Wesley wie zwei Klienten, auf meine neue, herzliche Art, die mittlerweile eigentlich gar nicht mehr so neu ist. »Wir sehen uns im Sturm« , sagt Frank und lächelt. Wesley schweigt.
    Als CarlaZwei und ich die Promenade hinuntergehen, ist wohl nur für besonders aufmerksame Passanten zu erkennen, dass wir zwei späte Jugendliche aus CobyCounty sind, die regelmäßig miteinander schlafen. Wir berühren uns auf der gesamten Strecke kein einziges Mal. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass uns die demonstrative Händchengeste im feuchten Promenadensand leicht verstört zurückgelassen hat. CarlaZwei weist mich darauf hin, dass wir durch diese Geste einen »neo-spiritualistischen Zirkel« gebildet hätten.
    »Ich habe so etwas in der Art schon befürchtet« , sage ich. Und weil sie das hauchdünne Zittern meiner Stimme hört, legt sie einen Arm um meine Hüfte: »Mach dir keine Sorgen. Es gibt weit Schlimmeres. Zum Beispiel diese nervösen Deutschen da vorn …« Sie deutet auf zwei hagere Jungs, die vermutlich noch jünger als dreiundzwanzig sind, elegante Reisetaschen über den Schultern tragen und mit ihren freien Händen nach Taxis winken. »Ich lege wirklich keinen Wert mehr auf diese Leute« , ergänzt CarlaZwei um eine Nuance zu streng, vermutlich weil sie die hageren Jungs insgeheim sexy findet. Etwas weicher sagt sie: »Ich geh hier nicht weg. Was auch immer da kommt.«
    Calvin Van Persy scheint Mattis Klark nicht mitgeteilt zu haben, dass er mir zu einer Reise geraten hat, denn Klark geht wie selbstverständlich davon aus, dass ich in meinem Apartment in CobyCounty sitze und mich vor der Sturmfront fürchte. In einer mild klingenden Kurznachricht bietet er an, dass ich in seinem Haus Zuflucht suchen dürfe: ›Die Suburbs sind vielleicht nicht der sicherste Ort der Welt, aber definitiv sicherer als das Stadtzentrum! Würde mich freuen, dich zu sehen.‹ Ich danke formell für sein Angebot und sage ab, mit dem kühlen Verweis darauf, dass ich ein Junge aus CobyCounty bin und das auch bleiben werde.
    Die tatsächliche Evakuierung wird am Tag vor dem prognostizierten Sturm innerhalb von acht Stunden durchgeführt.
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