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Schillerhoehe

Schillerhoehe

Titel: Schillerhoehe
Autoren: Oliver Schaewen
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hätte er eine Pause ein­ legen müssen. Aber er hatte weitergemacht, gegen den Rat des Polizeipsychologen. Auch im Nachhinein fand er seine Entscheidung richtig. Vermutlich hätte er die Sache zu nah an sich rangelassen, wenn er irgendwo auf der Welt die Zeit zum Grübeln gehabt hätte.
      Im Vergleich zu ihm pflegte Marie vergleichsweise harmlose Kontakte. Sie arbeitete nicht nur im Stadt­ infoladen mit, sondern auch im Empfang des Schiller­ Geburtshauses. Dort traf sie fast ausschließlich Leute, die sich in Marbach einen schönen Tag machten. Die gute Laune der Tagesgäste musste ansteckend wirken. Wenn er sich abends mit seiner Frau traf, brachte sie von dort ständig neue Geschichten mit.
      »Stell dir vor«, holte Marie aus, »wir haben heute im Geburtshaus endlich wieder echte Blumen für die Schiller­Büste bekommen.« Sie nestelte in ihrer Hand­tasche herum, kramte eine Zigarette und ihr perlmutt­ besetztes Feuerzeug hervor. Aufgeregt zündete sie den Tabakstängel an.
      »Ach ja?«, entgegnete Struve überrascht, und ein verschmitztes Lächeln glitt über sein Gesicht. Er erin­ nerte sich an den bitterbösen Leserbrief im Marbacher Kurier, mit dem sich eine Schiller­Verehrerin über die ersatzweise platzierten Plastiklilien beschwert hatte. Der empörte Zwischenruf hatte die Verantwortlichen offenbar zum Einlenken bewegt. Der Amtsbote musste nun wieder zur Gärtnerei fahren und regelmäßig einen frischen Strauß in die Niklastorstraße bringen.
      »Wahrscheinlich gäbe es in Marbach keinen gewaltige­ ren Frevel, als den großen Stadtsohn mit falschen Blumen zu ehren«, witzelte Struve über diese Provinzposse.
      »Das Plastikzeugs sah aber auch furchtbar aus.«
      »Warte mal!« Er lief eilig zur Getränkeausgabe und kam mit zwei Gläsern kühlem Prosecco zurück. »Jetzt lass uns über etwas Erfreuliches reden.«
      Marie Struve blickte ihn überrascht an. Er über­ reichte ihr ein Glas: »Auf unser Zehnjähriges, hier wie damals an der Sektbar beim Coconut­Konzert, am
    29. August 1998.«
      Ihre Verblüffung nutzte Struve, um anzustoßen und sie zärtlich zu küssen. Dann trank er den Prosecco in einem Zug aus, während sie immer noch mit dem vollen Glas vor ihm saß. Plötzlich lachte sie laut, nahm ver­ schämt die Hand vor den Mund und blickte sich kurz um. Niemand hatte von der Szene Notiz genommen. »Auf uns«, flüsterte sie gerührt und nahm einen tiefen Zug von dem Perlwein.

    Wie sich herausstellte, hatte Marie Struve für dieses Treffen auch eine kleine Überraschung vorbereitet. Nach dem zweiten Glas traute sie sich aus der Deckung, um die Gunst der Stunde zu nutzen.
      »Eigentlich müsstest du von Tag zu Tag besser gelaunt zur Arbeit gehen.«
      Peter Struve stutzte. Er dachte noch immer an die schreckliche Nacht in Untertürkheim und hielt die Bemerkung von Marie doch eher für einen schlech­ ten Scherz. Merkte sie denn nicht, dass er sich in die­ sem heißen Sommer mit seiner phlegmatischen Art auch körperlich geradezu von einem Tag zum ande­ ren schleppte?
      »Wie kommst du denn darauf?«
      »Na, dein Jahresurlaub naht mit Riesenschritten – und dann können wir drei Wochen lang wegfahren. Zieht es dich nicht mal in die Ferne?«
      Ihm schwante Schlimmes. Das Fernweh seiner Frau hatte schon öfter zu heftigen Diskussionen geführt. Er wollte aber an dem schönen Abend keinen Streit ris­ kieren.
      »Na ja. Mal etwas anderes als Marbach und das Bottwartal, Bietigheim und Stuttgart wäre schon nicht schlecht«, antwortete er diplomatisch, zumal er Rei­ sen innerhalb Europas durchaus aufgeschlossen gegen­ überstand.
      Sie blickte herausfordernd. »Na also, du freust dich auch schon!« Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu.
      Tatsächlich wollte der Kommissar möglichst jeden Urlaub mit seiner Frau verbringen. Ihre Kinder aus ers­ ter Ehe waren schon erwachsen, sie hatten also bei der Wahl ihres Ziels freie Hand. Besonders Marie genoss diese Freiheit. Auf ihr Betreiben hatte er in den ver­ gangenen Jahren die Akropolis, die Cheops­Pyramide und den Felsendom in Jerusalem jeweils im Spätsommer bei 40 Grad im Schatten besucht. Immer war er in der Notaufnahme gelandet. Nicht, dass er prinzipiell etwas gegen Krankenhäuser gehabt hätte. Aber diese Kräfte zehrenden Ausflüge hatte er wahrlich in keiner guten Erinnerung behalten. Wie es dazu kommen konnte, dass er im Jahr darauf jedes Mal wieder mitflog, konnte er sich selbst nicht
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