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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall
Autoren: Andrea Schacht
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mir fehlen die Worte«, sagte er und hob entschuldigend die Hände. »Yves Kerjean, und das ist Simon Johannsen, ein Bleistiftstemmer.«
    Sie hatten bisher Französisch gesprochen, aber die Frau redete ihn plötzlich auf Deutsch an.
    »Simon? Simon Johannsen, der Junge von nebenan?«
    Er starrte sie verblüfft an. Sie fuhr sich mit der Hand über die staubige Stirn.
    »Kelda Achern«, stellte sie sich vor, und zu dem Vermieter gewandt, meinte sie: »Versuchen Sie es gar nicht erst, Monsieur Kerjean. Kelda reicht. Achern ist ein Name, der Franzosen nicht eben geschmeidig über die Lippen kommt.«
    Yves nickte, und Simon konnte seine Überraschung nicht verbergen.
    »Kelda? Du? Du hast dich – mhm – verändert.«
    »Ja, Simon, du auch.«
    »Kelda war meine Nachbarin«, erklärte Simon.
    »Vor langer Zeit«, ergänzte Kelda.
    Zehn Jahre, wenn nicht mehr, waren vergangen, seit ihre Wege sich gründlich getrennt hatten.
    »Tja, am Ende der Welt trifft man sich wieder«, murmelte Simon.
    »Unter dramatischen Umständen, nicht wahr?«
    Auch Yves, der verhinderte Vermieter, hatte gerade eine Erleuchtung: »Sie sind die junge Dame, die Jan gestern aus dem Wasser gezogen hat.«
    »Das hat sich leider auch schon rumgesprochen.«
    Simon verzog angewidert sein Gesicht. »Du gehörst zu der Surferbande unten in der Düne?«
    »Korrigiere deine Grammatik, dann stimmt es. Ich gehörte dazu.«
    »Mhm.«
    Kelda ignorierte ihn und fragte stattdessen: »Was haben Sie im Keller gefunden, Monsieur Kerjean?«
    »Yves, der Monsieur passt nicht zu mir. Tja, da gibt es einen Toten. Und so wie es aussieht, hat man ihn schon vor vielen Jahren dort eingesargt. Schlechter Beton übrigens – aber es waren Kriegszeiten, da muss man wohl nachsichtig sein.«
    »Kriegszeiten? Woraus schließen Sie das?«
    »Weil er entweder ein Kollaborateur war und von der Résistance erschossen wurde oder bei der Résistance war und von Kollaborateuren erschossen wurde. Ein Lothringer Kreuz ist in die Wand eingeritzt.«
    Simon sah ihn fragend an, und er erklärte: »Ein Kreuz mit Doppelbalken war hier das Zeichen der Résistance.«
    »Nun, dann dürfte auf mich kein Verdacht fallen, das war vor meiner Zeit«, bemerkte Kelda trocken.
    »In der Tat. Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Madame Kelda. Sie haben starke Nerven bewiesen. Nicht nur dass Sie durch die Decke gebrochen sind, nein, Sie mussten auch noch die Nacht neben einem Toten verbringen. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
    »Ach, wissen Sie, meine Erfahrung mit der Endlichkeit des Lebens hatte ich bereits am gestrigen Nachmittag gemacht, als mich die Flut gegen die Felsen trieb.«
    »Ein tollkühnes und leichtsinniges Unterfangen«, sagte Simon scharf.
    »Ich wurde überredet. Und ich habe meine Konsequenzen daraus gezogen. Mit welchen Folgen, das siehst du ja hier.«
    »Kein entspannter Urlaub.«
    »Nein, und darum breche ich ihn jetzt ab. Wenn einer der Herren bitte mein Gepäck oben aus dem Schlafzimmer holen würde – ich habe keine große Lust mehr, mich noch einmal in diesem baufälligen Gemäuer zu bewegen.«
    »Sofort, Madame Kelda!«
    Yves stapfte die Treppe hoch, die seinem Gewicht standzuhalten geneigt war.
    »Wohin können wir dich bringen, Kelda?«, fragte Simon.
    »Zum
Marée bleue
. Es gehört meiner Freundin Marie-Claude.«
    »Ich kenne es.«
    Simon schnappte sich ihre Reisetasche, Yves trug ihren Rucksack, und sie geleiteten sie zu dem staubigen Offroader. Während der kurzen Fahrt schwieg Kelda, doch als sie ausstieg, reichte Yves ihr die Hand.
    »Überlegen Sie sich, ob Sie wirklich abreisen wollen, Madame Kelda. Wo immer Sie Unterkunft finden – ich zahle sie.«
    Simon hatte seinen Freund noch nie so zerknirscht gesehen. Er schloss sich seiner Einladung an.
    »Das Wetter bleibt schön, sagt man. Du solltest dir die Gegend ein paar Tage ansehen.«
    »Ich denke darüber nach.«
    »Tun Sie das«, sagte Yves. »Wenn Sie irgendetwas brauchen, finden Sie mich auf dem ›
Truc et Puces
‹ Richtung Kerlouan. Können Sie nicht verfehlen, es steht dort ein roter Doppeldeckerbus.«
    »Darin haust dieser Gauner, und wenn du zu ihm willst, musst du erst ein Meer von Gerümpel durchqueren«, ergänzte Simon.
    »Das haben Flohmärkte vermutlich so an sich. Hallo, Marie-Claude, ich bin schon wieder schiffbrüchig, diesmal auf festem Land«, begrüßte Kelda die Wirtin der Crêperie, die aus der Tür trat.
    Yves nahm seine Mütze ab und drehte sie in den Händen, während er von ihrem Missgeschick
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