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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall
Autoren: Andrea Schacht
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gewesen, doch sie hatte nie mehr als nur halbwegs freundliches Interesse für ihn bekundet. Gut, das war Vergangenheit, heute waren sie beide erwachsen, und derartig hormonellen Befindlichkeiten war er entwachsen. Sie war hier gestrandet, unter nicht eben glücklichen Umständen, und verdiente zumindest die Aufmerksamkeit eines ehemaligen Nachbarn.
    Also machte er sich nach dem ersten, frühen Besuch auf der Baustelle auf, im
Marée bleue
ein ordentliches Frühstück zu sich zu nehmen. Das alleine war schon Grund genug, dort anzuklopfen.
    Die normalen Gäste wurden erst um die Mittagszeit beköstigt, aber zu Marie-Claude und ihrem Mann Brendan hatte er eine besondere Beziehung. Vor zweieinhalb Jahren war das
Marée bleue
sein erster eigenständiger Auftrag gewesen. Damals war das Haus an der Düne noch eine etwas patinierte
Bar Tabac
gewesen, in der sich die Einheimischen auf ein Bier und Pferdewetten trafen. Dann starb der Besitzer, und Marie-Claude, eine engagierte Köchin, hatte die Bar geerbt. Er hatte gerade eine finstere Zeit hinter sich, die er als seine persönliche Naufrage betrachtete. EinSchiffbruch, den er durch Selbstversenkung verursacht hatte. Yves hatte das Wrack geborgen, das er damals war, ausgenüchtert und abgeschleppt. Was immer den seltsamen Knorzen dazu bewogen haben mochte, heute war er ihm dankbar dafür. In den ersten Monaten hatte er Simon schuften lassen – bei Entrümpelungen aller Art, mit denen er sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Als sie von Marie-Claude beauftragt wurden, das
Marée bleue
leer zu räumen, hatte er das erste Mal seit langer Zeit wieder das Bedürfnis verspürt, einem heruntergekommenen Gebäude zu seiner alten Form zu verhelfen. Er sah, was die Besitzerin nicht sehen konnte: ein malerisches Haus, das einladend den Besuchern seine Türen öffnete. Bei einem langen, abendlichen Gespräch hatte er ihrem Mann von seiner Vision erzählt, und der wiederum hatte sie begeistert aufgegriffen. Marie-Claude war eine hervorragende Köchin, die einfachen Gerichte, die ihr Vater den Barbesuchern angeboten hatte, waren weit unter ihrem Niveau. Es hatte nur wenige Wochen gedauert, da hatte sie sich entschieden, eine Crêperie aufzumachen. Ein lohnenswertes Projekt, weil in der Nachbarschaft auch gerade die verlassene Ansiedlung Meneham ihre Auferstehung als Museumsdorf feierte und zu einem Besuchermagnet wurde.
    Heute schmiegte sich das Feldsteinhaus zwischen Felsen und Düne, die Läden waren dem Namen gemäß meerblau gestrichen, Stockrosen in allen Schattierungen von Rot und Gelb leuchteten von der grauen Steinmauer, das Strohdach war eine Herausforderung gewesen, die Installationsarbeiten ebenso. Aber es war ihm gelungen, mit den örtlichen Handwerkern seine Vorstellungen durchzusetzen, und Marie-Claude hatte sich mit viel Sinn für Praktisches und mit gutem Geschmack um die Inneneinrichtung gekümmert. Über den Arbeiten, die ein halbes Jahr gedauert hatten, waren sie gute Freunde geworden. Und als das
Marée bleue
wieder seine Pforten öffnete, hatte er sich einen guten Ruf als Architekt für Sanierungsaufgaben erworben. Danach war es stetig aufwärtsgegangen.
    Die Tür das Hauses stand, wie meistens, offen. Marie-Claude werkelte schon in der Küche.
    »Simon, komm rein. Nimm dir einen Kaffee!«, wurde er freundlich begrüßt. Soquette kam ebenfalls angestromert und sprang sogleich auf seinen Schoß, schnurrte ihn an und nahm zierlich das Stückchen Schinken aus seiner Hand.
    »Wie geht es deiner Freundin Kelda?«
    »Ich habe sie überredet, in das Gästezimmer oben zu ziehen. Ich hoffe, sie wird wirklich ein paar Tage bleiben. Aber diese Erlebnisse in den vergangenen zwei Tagen haben sie ziemlich aus der Bahn geworfen.«
    »Mir schien, dass sie recht gelassen damit umging.«
    »Nur weil sie keinen hysterischen Anfall beim Anblick eines alten Skeletts bekommen hat, heißt das noch lange nicht, dass sie ungerührt von den beiden Unfällen geblieben ist, Simon. Kommt dazu, dass sie noch einen furchtbaren Streit mit ihrem Freund hatte, weil der Idiot … Ach, lassen wir das! Sie soll sich einfach eine Weile hier ausruhen.«
    Das Leben bot Wiederholungen, stellte Simon fest. Die einzige Zeit, in der er Kelda ein klein wenig nähergekommen war, war einst die Phase, in der sie von einem herzzerreißenden Liebeskummer gequält worden war. Sie war sechzehn, er neunzehn, und ein paar Wochen lang hatte er schüchtern versucht, sie zu trösten.
    Na ja, es war ein Versuch
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