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Schicksal in seiner Hand

Titel: Schicksal in seiner Hand
Autoren: Dr. Thomas Bruckner
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wiegendem Gang nach vorn.
    Dr. Bruckner sah, daß er eine Prothese trug. Das Bein war hoch im Oberschenkel abgenommen worden. Das hatte er nicht gewußt. Urplötzlich erfaßte ihn Mitleid mit diesem Mann, der in Fachkreisen als Koryphäe der Chirurgie galt, aber offensichtlich ein schweres persönliches Schicksal zu tragen hatte.
    Völlig unerwartet baute sich der Professor jetzt vor dem ›Eindringling‹ auf. Fasziniert blickte Dr. Bruckner in dieses scharf geschnittene Gesicht, das Klugheit, Willensstärke und eiserne Entschlossenheit verriet. Nur – vergeblich forschte er in diesen Zügen nach einem Anflug von Güte und Verstehen.
    »Sie sind also Dr. Thomas Bruckner?« Der Krückstock schlug hart auf den Boden.
    »Jawohl, Herr Professor!«
    Bruckner wunderte sich, wie ruhig seine Stimme klang. Er konnte sich das, was um ihn herum vorging, beim besten Willen nicht erklären. Er spürte die feindselige Atmosphäre. Er sah die unergründlichen Augen dieses Grandseigneurs der Chirurgie abschätzend auf sich ruhen und wußte in diesem Moment, daß er ihm gegenüber niemals nachgeben durfte. Sicher, er wollte von ihm lernen. Er war freiwillig gekommen, aber – er wollte sich nicht unterkriegen lassen.
    Das Telefon schellte. Es verging einige Zeit, bis der Chef den Hörer abnahm.
    »Danke!« sagte er schließlich mit müder Stimme und hängte ein. Dann wandte er sich an seine Mitarbeiter: »Man erwartet mich im OP.«
    Er machte ein paar Schritte zur Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen und drehte sich noch einmal um.
    »Ich kann Sie nicht willkommen heißen, Herr … Herr Kollege. Sie wurden mir aufgezwungen. Ihr Onkel hat Sie hier hereingesetzt … auf Grund seiner Beziehungen. Das sind Methoden, die ich nicht billigen kann.«
    Er holte ein Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn. Die Falten um seinen Mund hatten sich vertieft. Dann griff er mit einer etwas fahrigen Bewegung in die Taschen seines Kittels und angelte ein rundes Döschen hervor. Er entnahm ihm eine Tablette und schluckte sie.
    »Ich werde Sie beschäftigen, Herr Bruckner«, sagte er nebenbei, »aber merken Sie sich eines: Wir gehen hier einen geraden und ehrlichen Weg. Auch wenn Sie zehn Onkel haben, die Generaldirektoren sind und in Kuratorien sitzen, würde uns das keineswegs beeindrucken. Bei uns zählt allein Können und niemals Protektion.«
    Dr. Thomas Bruckner blieb keine Chance zur Erwiderung. Der Professor hatte, begleitet von seinen Mitarbeitern, inzwischen den Raum verlassen. Niemand warf einen Blick zurück.

2
    Erstaunt schlug Ursula Kleiber die Augen auf. Eine kühle Hand hatte sich auf ihre Stirn gelegt. Sie blickte in das lächelnde Gesicht einer alten Schwester. Die Runzeln und Falten in der feinen Haut sahen aus wie Risse in vergilbtem Pergament.
    »Ich bin Stationsschwester Angelika«, sagte die zierliche Person und lächelte freundlich.
    »Komme ich jetzt dran?«
    Die Schwester legte den Zeigefinger an die Lippen und winkte zur Tür hin.
    Verwundert folgte Ursula Kleibers Blick dieser Geste. Dann jubelte sie und fand plötzlich die Kraft, sich hochzurichten und die Arme auszubreiten.
    Mit einem Freudenschrei stürzten Gisela und Dieter ihrer Mutter entgegen.
    Schüchtern blieb Albert Kleiber einen Augenblick in der Tür stehen. Er wirkte wie ein unbeholfener Liebhaber beim ersten Rendezvous. Behutsam nahm er die durchsichtige Hand seiner Frau auf und streichelte sie.
    »Ursel!«
    Seine Stimme war kaum hörbar, aber die Kranke vernahm sie doch. Während sie mit der rechten Hand die Wuschelköpfe ihrer Kinder streichelte, schaute sie Albert mit brennenden Augen an. Über ihr sorgenvolles Gesicht huschte ein verjüngendes Lächeln.
    »Du hast Ursel gesagt«, flüsterte sie, »genau wie damals. Wird nun alles wieder gut, wenn ich …« Sie brach ab und wandte den Kopf zur Seite.
    Albert setzte sich auf die Kante der Trage. Langsam griff er nach Ursulas Hand, betrachtete sie und führte sie endlich zum Mund.
    »Du wirst wieder gesund, Ursel, du mußt wieder gesund werden … für die Kinder und … für mich.«
    »Und du bleibst dann bei mir?«
    Ihre Hand tastete nach seinen Haaren und streichelte sie. Die Kinder schauten erstaunt auf.
    »Ja!« brachte er mühsam hervor.
    »Ich danke dir, Albert.«
    Die Tür wurde geöffnet. Schwester Angelika stand auf der Schwelle.
    »Sie müssen jetzt gehen. Der Chef kann jeden Augenblick hereinkommen.«
    Schwerfällig stand Albert Kleiber auf.
    Auf dem Flur ertönten Schritte.
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