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Schicksal in seiner Hand

Titel: Schicksal in seiner Hand
Autoren: Dr. Thomas Bruckner
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    Ursula Kleiber lag im Vorbereitungszimmer des Operationssaales und starrte zur Decke. Es war eine weiße Decke mit vielen Rissen und Sprüngen. Man konnte die eigenartigsten Fantasiegebilde daraus formen.
    »Ich lasse Sie jetzt allein!« Die Stationsschwester deckte die Patientin zu. »Versuchen Sie ein wenig zu schlafen. Es ist das allerbeste, wenn man auf eine Operation wartet.« Sie wandte sich zum Gehen.
    Die bisher apathisch wirkende Kranke fuhr hoch und sah mit angstgeweiteten Augen die Schwester an.
    »Sagen Sie mir offen, wie es um mich steht?«
    »Bitte, bleiben Sie liegen. Es wird alles gutgehen.«
    An der Tür drehte sich die Schwester noch einmal um. »Der Narkosearzt wird gleich kommen. Vor allem: haben Sie keine Angst!« Sie warf der Patientin einen aufmunternden Blick zu und huschte dann hinaus.
    Ursula Kleiber schloß die Augen. Sie versuchte, völlig abzuschalten. Die Schmerzen in ihrem Leib ließen allmählich nach. Die Spritze, die man ihr auf der Station gegeben hatte, begann zu wirken.
    Sie war allein – allein mit ihren quälenden Gedanken, die sich nicht verdrängen ließen. Warum war Albert nicht gekommen? Er hatte ihr doch fest versprochen, sie vor der Operation aufzusuchen und auch die Kinder mitzubringen.
    Die Kinder! Der Anflug eines Lächelns verschönte sekundenlang das abgezehrte, verhärmte Gesicht der Kranken. Wie liebte sie ihre beiden! Ihretwegen hatte sie jahrelang über ihre Krankheit geschwiegen und die entsetzlichen Schmerzen geduldig ertragen. Nun war es vielleicht zu spät … Die junge Frau gab sich keinen Illusionen hin. Sie wußte, wie es um sie stand. Sie hatte das Furchtbare schon lange geahnt. Würde sie ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen?
    Draußen wurde mit Instrumenten geklappert. Türen schlugen. Eine Stimme trällerte Schlagermelodien.
    Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Ein Arzt in weißem Kittel stürmte herein, stutzte einen Moment, als er die Patientin sah, zog sich dann eiligst zurück.
    »Entschuldigen Sie«, murmelte er im Hinausgehen, »ich konnte nicht wissen …«
    Ursula Kleiber nahm das Geschehen um sie herum kaum wahr. Sie befand sich in einer Art Trancezustand. Gegenwart und Vergangenheit zogen in kaleidoskopartiger Vielfalt vor ihrem geistigen Auge vorüber. Und immer wieder formten sich die bunten Mosaiksteine zu einer einzigen, alles beherrschenden Gestalt: Albert!
    Ein Schluchzen schüttelte sie. Tränen rannen über die bleichen Wangen. Warum kam Albert nicht wenigstens jetzt ins Krankenhaus? Sie hatten doch alle die Jahre zusammengehalten, sie war ihm immer eine treue und liebevolle Frau gewesen? Und doch hatte er sie verlassen … wegen einer anderen, die jünger und gesund war.
    Plötzlich wurden Stimmen laut. Sie stritten sich. Fetzen eines Gesprächs drangen undeutlich zu der einsamen Patientin. Erst wollte sie es nicht wahrhaben, aber dann durchzuckte es sie wie ein elektrischer Schlag!
    Albert! Ja, es gab keinen Zweifel mehr – das war die Stimme ihres Mannes. Er fragte nach ihr. Er war doch noch gekommen!
    Eine Welle von Liebe und Dankbarkeit überflutete sie. Vergessen und vergeben war alles … Albert war da! Bestimmt hatte er auch die Kinder mitgebracht. Vielleicht würde doch noch alles gut werden.
    Jetzt lohnte es sich wieder zu leben! Die Operation mußte gelingen. Sie wollte wieder gesund werden.
    Ursula Kleiber versuchte sich etwas aufzurichten, um besser hören zu können. Inzwischen waren die Stimmen näher gekommen. Sie lauschte gespannt.
    »Sie können Ihre Frau jetzt nicht mehr sehen!« sagte gerade eine weibliche Stimme. »Das geht auf gar keinen Fall. Sie hätten eben früher kommen müssen.«
    »Aber ich konnte doch nicht früher. Ich hatte noch beruflich zu tun.«
    »Jetzt geht es aber nicht!« Wie unpersönlich und kalt diese ablehnende Stimme klang. »Warten Sie bis nach der Operation. Der Professor muß jeden Augenblick kommen.«
    »Ich werde doch wohl zu meiner Frau dürfen!«
    Ursula Kleiber wollte rufen, aber es wurde nur ein unverständliches Krächzen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, die Zunge klebte am Gaumen. Mit einem Stöhnen sank sie zurück.
    »Ich werde mich beschweren!« hörte sie Alberts Stimme.
    Wenn er nur nicht die Nerven verlor! Er hatte einmal bei einem Betriebsunfall eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen. Seit dieser Zeit war er oft aufbrausend und unberechenbar. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Aufregung hatte die Wirkung der Beruhigungsspritze zunichte
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