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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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rief immer die Parteien und die Zeugen bei den Verhandlungen auf. Ein sehr verantwortlicher Posten. Stellen Sie sich vor, wenn er sich vertat und rief die falschen Zeugen!«
    »Das wäre schrecklich gewesen.« Frank Gerholdt nickte. Er stellte die Tragetasche mit Rita auf den einzigen Stuhl und sah sich in dem kleinen Zimmer um. »Das kostet also fünfundzwanzig Mark?«
    »Billig, sehr billig!« Die Frau Justizwachtmeister rieb sich die Hände. »Ich vermiete nur, weil ich mir ein neues Sofa kaufen will. In bar! Mein Mann sagte immer: Nichts auf Stottern! Teilzahlungen verderben den Charakter.« Sie blickte auf Rita. Ihr blondes Lockenköpfchen sah aus dem Kissen hervor, ihre großen, blauen Augen bestaunten die dicke Frau vor sich. »Ein Kind haben Sie auch?«
    »Allerdings.«
    »Wo ist denn die Mutter?«
    »Tot.«
    »Ach! Verzeihung.« Die Frau wischte sich über die Augen. Über ihr aufgeschwemmtes Gesicht zog der Schein tiefer Anteilnahme. »Und nun sind Sie ganz allein, was? Witwer mit Kind! Ja, ja, das Leben ist hart.«
    »Sehr hart. Ich nehme das Zimmer.« Gerholdt setzte sich auf das Bett und holte sein altes Portemonnaie heraus. »Ich bezahle gleich.«
    »Wie schön.« Das anfängliche Sträuben, das Gerholdt fühlte, schwand etwas. »Ich wollte eigentlich keine kleinen Kinder in meiner Wohnung haben. Wissen Sie, die Nachbarn. Wenn es quäkt und schreit. Die sind so penibel. Unter uns wohnt ein Sekretär vom Gericht. Kanzleivorsteher der Grundbuchabteilung. Alter Feldwebel. Der will seine Ruhe haben. Und wenn das Kind schreit – – –«
    »Ich bezahle zwei Monate im voraus …« Frank Gerholdt legte fünf Zehnmarkscheine auf den wackeligen Tisch. Das überzeugte, daß der Lärm, den Rita machen würde, nicht so groß sein konnte, daß sich der Herr Kanzleivorsteher, Sekretär und ehemalige Feldwebel, gestört fühlen konnte.
    »Einen Ofen brauche ich auch, wenn es kalt wird«, stellte Gerholdt fest.
    »Das Zimmer ist – – –«
    »Ich weiß, ich weiß!« Er schnitt der Wachtmeisterswitwe das Wort mit einer Handbewegung ab. »Teilmöbliert. Aber zu einer Teilmöblierung gehört auf jeden Fall ein Ofen. Ich kann mich ja bei dem Herrn Sekretär unter uns erkundigen.«
    »Sie bekommen einen Ofen!« Sie schien eine höllische Angst vor dem Sekretär zu haben. »Ich stelle ihn morgen herein. Einen eisernen Ofen. Er heizt sofort. Aber das Brennmaterial müssen Sie selbst kaufen.«
    »Natürlich. Und wie ist es mit dem Kochen?«
    »Das können Sie auf der Platte des Ofens.«
    »Und für Rita?«
    »Ach. Rita heißt die Süße?« Frau Möllen, wie die Witwe hieß, beugte sich über die Tasche und tippte Rita auf das Näschen, was diese mit einem Quäken beantwortete. »Das Breichen können Sie bei mir kochen. Und der Trockenboden ist gleich nebenan … für die Windeln.«
    Frank Gerholdt war für den heutigen Tag zufrieden. Als Frau Möllen das Zimmer verlassen hatte, wickelte er Rita aus, legte sie trocken und steckte sie in das Bett. Er packte die wenigen Sachen aus, die er aus Hamburg mitgenommen hatte, und stellte alles auf den Tisch oder auf den Boden unter das Fenster. An einen Nagel neben der Tür hängte er seine Garderobe auf. Einen Anzug, zwei Hemden. Die Einrichtung war fertig.
    »Sollen wir hier bleiben, Rita?« fragte er. Er setzte sich neben sie auf das Bett und hielt ihre kleinen, kalten Händchen fest. »Hier wird es warm sein, hier wird uns keiner suchen, so ganz nahe bei dem Gericht, in einem Haus mit einem Justizsekretär. Hier wollen wir ein neues Leben anfangen, ja? Ganz von vorne anfangen.«
    Er stand auf und trat an das Fenster. Der Abend kam über die Stadt. Im Dunst sah er schwach, grau wie Nebelbänke, die beiden schlanken Türme des Domes. Unter ihm, aus einem offenen Fenster, hörte er Radiomusik. Einen Jazz. Sieh an, dachte er, der Herr Feldwebel a.D. hört sich Jazz an. Sicherlich hat er auch gehört, daß in Hamburg die einzige Tochter des Reeders von Buckow geraubt wurde. Aber das hat er wieder vergessen, denn es gehört nicht zu seinem Ressort. Er ist Kanzleivorsteher des Grundbuches. Und Hamburg ist weit. Wenn man das Kind in Köln geraubt hätte, ja, dann … Vielleicht noch das Kind des Herrn Inspektors oder gar des Herrn Amtsgerichtspräsidenten. Aber das war unmöglich, denn der Herr Präsident zählte sechzig Jahre und hatte keine kleinen Kinder mehr. Also vergaß er es … Jazz aber liebte er. Das ging in die Beine. Wie früher die Marschmusik. Alte Kameraden! Drei –
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