Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Titel: Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
Autoren: Kerstin Ruhkieck
Vom Netzwerk:
erinnerte ihn hier plötzlich alles an Vanessa. Die letzte Woche hatte er in ihrer Wohnung verbracht, da sie beide wussten, dass Jonas dort niemals nach ihm suchen würde. Es war Teil ihres Plans, dass sich Vanessa bei Jonas häuslich einrichtete, um dort mächtig seine Nerven und seine Geduld zu strapazieren. Sie wollten ihn schwächen, mürbe machen und stets ein Auge auf ihn haben, um ihn schließlich in Thox‘ blutverschmierte Wohnung zu lotsen und so noch seine Angst schüren. Doch seltsamerweise hatte Thox in Vanessas kleiner Wohnung nicht ständig das Gefühl gehabt, sie wäre anwesend, wie er es nun in seiner eigenen Wohnung empfand.
    Sofern es die Zeit in den letzten drei Tagen zugelassen hatte, war Thox damit beschäftigt gewesen, seine eigenen vier Wände wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. Noch nie in seinem Leben hatte er so viel Zeit mit Putzen ve rbracht. Es wurde von Minute zu Minute immer klarer, dass er hier nicht mehr bleiben konnte. Obwohl er das Blut irgendwann soweit beseitigt hatte, dass er es nicht mehr sah, schien es trotzdem weiterhin überall zu kleben. An der Decke, den Wänden, am Boden – an ihm. Früher oder später musste er hier raus. Doch bis es soweit war, hatte er schon mal das Bild von Anna in den Mülleimer verschwinden lassen.
    Anna hatte ihren Heiligenschein in seiner Erinnerung nun endgültig verloren. Sie gehörte nicht mehr in seine Wohnung. Hier hatte längst jemand anderes Einzug g enommen. Selbst jetzt noch war es, als wäre Vanessa zugegen. Die Wände hatten sie aufgesogen wie zuvor das Schweineblut und gaben sie nun wie ein Echo wider.
    Thox saß im Schlafzimmer in seinem Lieblingssessel, und wenn er die Augen schloss, konnte er Vanessa in diesem Zimmer spüren. Er konnte sie sehen, obwohl er sonst nichts sah, ihr Bild war auf die Innenseiten seiner Lider eing ebrannt. Egal wo er war, sobald er die Augen schloss, sah er sie. Und nicht immer nur an sein Bett gefesselt.
    Thox hatte in den letzten Tagen viel Zeit bei der Polizei ve rbracht. Schließlich ging es hier um einen Todesfall. Es musste abgeklärt werden, ob es sich um einen Unfall oder Mord handelte. Immer wieder musste Thox seine Geschichte wiederholen, und zu seiner unaussprechlichen Überraschung hatte Jonas seine Version bestätigt.
    Gestern dann hatte Thox ihn in der Untersuchungshaft b esucht. Nur dieses eine Mal, um abschließen zu können, um endlich alles, alles zu erfahren.
    Jonas wirkte blass und müde. Leer. Er hatte alles gesta nden. Stine und Anna. Und jetzt auch das. Thox wurde nichts zur Last gelegt. Doch die Polizei ging auch von einem anderen Tathergang aus als er in der Realität stattgefunden hatte. Keine Entführung, keine Folter, kein Pakt. Ein Eifersuchtsdrama zweier Männer um eine Frau, eine Waffe zur Selbstverteidigung in der Wohnung dieser Frau, ein versehentlich im Kampf ausgelöster Schuss … Kein Wort über perfide Pläne, Racheaktionen oder sonstige kranke Scheiße. Vanessa war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, eine Bekannte von Maria, die gerade zufällig zu Besuch war. Die Ermittler gaben sich damit jedenfalls zufrieden, zumal Jonas ihnen nicht widersprach.
    Sein Besuch in der Untersuchungshaft war sehr kurz ausg efallen. Jonas gestand Thox alles über Stine, teilte ihm Dinge mit, die er gar nicht wissen wollte. Und er sprach über Anna, sachlich, kontrolliert, als würde ihn das alles nichts angehen. Nicht mehr. Jonas wollte sich reinwaschen, und das widerte Thox an. Mit der Wahrheit wollte Jonas diese Schuld ablegen, denn dafür gab es nun keinen Platz mehr in seinem Verstand. Da war jetzt eine neue, kaum zu ertragende Schuld, die den Raum der alten Sünde eingenommen hatte.
    Kurz bevor Thox aufstand, um zu gehen und sich niemals wieder umzudrehen, hatte Jonas noch gesagt: »Der Tag, als wir uns wieder trafen … erinnerst du dich? Ich habe Pizza geliefert. Du hast damals gedacht, es wäre Zufall gewesen, hab ich recht? Aber das war es nicht. Ich habe niemals etwas dem Zufall überlassen. Wochenlang habe ich dich beobac htet, doch an diesem Abend konnte ich nicht mehr warten. Ich habe den Pizzaboten bestochen. Die beste Möglichkeit, unsere Begegnung wie Schicksal aussehen zu lassen. Aber bei uns habe ich nie etwas dem Schicksal überlassen. Ich habe das alles nur für dich getan. Es hat bei Stine angefangen und endet hier.«
    Thox war mit einem flauen Gefühl im Magen nach Hause gegangen. Jonas hatte sein, Thox’ Leben zerstört, immer wieder.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher