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Schenk mir deinen Atem, Engel ...

Schenk mir deinen Atem, Engel ...

Titel: Schenk mir deinen Atem, Engel ...
Autoren: Dana Kilborne
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hinterließ einen leicht salzigen Geschmack auf ihren Lippen. Faith holte mehrmals hintereinander tief Luft und genoss jeden einzelnen Atemzug. Dabei fiel ihr auf, dass die Atemnot, die sie beinahe schon ihr ganzes Leben lang begleitete, ein wenig nachgelassen hatte. Scheinbar war es wirklich eine gute Idee von Dr. Brown gewesen, sie hierherzuschicken.
    Sie sah sich um. Auf der Veranda, auf der sie stand, wippte ein altersschwach wirkender Schaukelstuhl im Wind. Links und rechts entlang des Strandes reihten sich weitere Ferienhäuser aneinander wie Perlen an einer Schnur. Und vor ihr erstreckte sich das endlos erscheinende Meer, in dessen bei Nacht tiefschwarz wirkendem Wasser sich der fast volle Mond spiegelte. Der Anblick rührte etwas tief in ihr an. Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte sie das Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit. Vor ihr lagen zwei Wochen, in denen sie praktisch alles tun konnte, was sie wollte. Zwei Wochen ohne Krankenhaus, Ärzte und Therapien. Zwar würde sie ihre Medikamente wie gewohnt nehmen müssen, aber das beeinträchtigte sie schon lange nicht mehr. Sie würde die Seele baumeln lassen und einfach den Urlaub genießen.
    Sie spürte, wie ihr eine einzelne Träne über die Wange lief. Ach, warum konnte es nicht immer so sein? Warum hatte diese scheußliche Krankheit ausgerechnet sie treffen müssen? Im Moment lief ihr Leben zu Hause nach immer demselben Schema ab: Nach dem Aufstehen stand etwa eine Stunde Therapie auf dem Plan. Das bedeutete Inhalieren, autogene Drainage und Dehnübungen. Danach Schule und nach dem Abendessen noch einmal dieselbe Prozedur. Da sie zwischendurch aber auch immer wieder eine intravenöse Behandlung mit Antibiotika über sich ergehen lassen musste, war das Krankenhaus zu einer Art zweitem Zuhause für sie geworden. Denn Faith litt seit ihrer Geburt an Mukoviszidose – einer unheilbaren, genetisch bedingten Stoffwechselerkrankung, die ihr Leben von klein auf stark einschränkte.
    Im Klartext bedeutete das, dass sie – einmal abgesehen von den zahlreichen anderen Auswirkungen auf ihren Organismus – langsam an dem zähen Schleim, den ihre eigenen Bronchien im Überfluss produzierten, erstickte. Inzwischen war es zwar so, dass durch immer bessere Medikamente die Lebenserwartung deutlich gestiegen war. Erlebten Erkrankte früher in den meisten Fällen nicht einmal das zwanzigste Lebensjahr, konnte heute jemand, der an Mukoviszidose litt, durchaus fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt werden. Allerdings kam das auch immer auf den Einzelfall an, und bei Faith hielten die Ärzte eher fünf bis zehn Jahre weniger für realistisch, weil ihre Lunge bereits ziemlich angegriffen war.
    Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken in ihre Vergangenheit zurück. Als Kind war sie noch relativ gut mit ihrer Krankheit zurechtgekommen. Zwar war es lästig gewesen, ständig Medikamente einnehmen und andauernd zu irgendwelchen Ärzten gehen zu müssen, aber sie hatte von ihren Eltern immer kleine Belohnungen erhalten, die alles wieder vergessen machten. Außerdem hatte sie damals noch nicht so viel nachgedacht. Das lag wohl am Alter. Kinder nahmen in den meisten Fällen derartige Beeinträchtigungen hin und machten das Beste draus. Schwieriger war es geworden, als Will zur Welt kam. Da war sie acht gewesen und oft traurig, weil sie das Gefühl gehabt hatte, dass ihre Eltern ihren Bruder nun lieber hatten als sie, weil er gesund war und sie nicht.
    Später als Jugendliche hatte sie dann angefangen zu grübeln. Plötzlich begann sie, alles infrage zu stellen und nach dem Sinn ihres Lebens zu suchen. Sie wurde in sich gekehrter und verlor irgendwann sämtliche Unbeschwertheit und Lebensfreude. Damals wandten sich praktisch alle Freundinnen von ihr ab. In der Schule wurde sie zur Außenseiterin, und die Jungs zeigten überhaupt kein Interesse an ihr. Wahrscheinlich auch, weil sie damals so stark abmagerte. Vor allem aber wohl, das war ihr heute klar, weil sie eine Art Schutzmauer um sich herum gebaut hatte und nichts und niemanden mehr an sich heranließ. Sie war abweisend und unfreundlich geworden, und dabei hatte sie so doch gar nicht sein wollen.
    Vermutlich lag es daran, dass sie sich selbst nicht leiden konnte. Wenn sie in den Spiegel schaute, erschrak sie manchmal regelrecht. Sie sah aus wie ein Gespenst, nur noch Haut und Knochen. Und ihr dünnes, hellblondes Haar verstärkte diesen Eindruck sogar noch.
    Trotzdem war Faith noch lange nicht bereit, aufzugeben. In den
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