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Schenk mir deinen Atem, Engel ...

Schenk mir deinen Atem, Engel ...

Titel: Schenk mir deinen Atem, Engel ...
Autoren: Dana Kilborne
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Faith sah ihren Bruder an.
    „Hast du nicht gehört? Wir sollen schlafen. Ich bin auch wirklich müde.“
    „Ich aber nicht!“
    Faith seufzte. „Könntest du denn wenigstens das Licht ausmachen?“
    Doch ihr Bruder reagierte nicht.
    Ach, was soll’s? Resignierend krabbelte sie unter ihre dünne Bettdecke. Faith war es gewohnt, bei Licht zu schlafen, denn zu Hause in London mussten sich die Geschwister aus Platzmangel ebenfalls ein Zimmer teilen. Insgeheim hatte sie ja gehofft, wenigstens hier im Urlaub mal ein eigenes Zimmer zu haben. Aber ihre Eltern mussten sparen, deshalb hatten sie nur eine kleine Ferienhütte anmieten können. Die war schön, aber eben vor allem zweckmäßig eingerichtet. Es gab eine Küche mit den nötigsten Geräten und einem Tisch, ein winziges Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer. In dem einen schliefen ihre Eltern, das andere mussten sich Faith und Will teilen.
    Aber Faith hätte sich nie beklagt. Sie wusste schließlich, warum bei ihrer Familie das Geld an allen Ecken und Enden fehlte. Es war ihretwegen. Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie wurde zu Hause schon ununterbrochen an ihre Krankheit erinnert. Wenigstens jetzt, im Urlaub, wollte sie einmal abschalten und einfach nur so leben wie andere, gesunde Mädchen in ihrem Alter.
    Sie drehte sich so, dass sie mit dem Gesicht zur Wand blickte und zog sich die Decke über den Kopf. Dann schloss sie die Augen. Wenige Minuten später übermannte die Erschöpfung sie endgültig, und sie schlief ein.
    Ihr Tagebuch hielt sie, wie früher ihren Teddybär Mister Herbert, dicht vor die Brust gepresst.
    Mitten in der Nacht wachte Faith erschrocken auf. Sie hatte irgendetwas Schlechtes geträumt, wusste aber nicht mehr, was. Ihrer Meinung nach waren das die schlimmeren Albträume: Von denen, an die man sich hinterher genau erinnerte, konnte man sich recht schnell erholen. Die anderen aber hinterließen ein diffuses, beklemmendes Gefühl. Es war wie die Angst vor etwas Unbekanntem, nicht Greifbarem.
    Außerdem hatte sie im ersten Moment gar keine Ahnung, wo sie sich überhaupt befand. Durch das geöffnete Fenster drang Meeresrauschen. Sie war also definitiv nicht in London. Da fiel ihr wieder ein, dass sie nach Brighton gefahren waren, und sie entspannte sich. Doch sie glaubte nicht, dass sie sofort wieder einschlafen konnte, und wach hier herumliegen und grübeln wollte sie auch nicht, das tat sie schon zu Hause viel zu oft. Also richtete sie sich auf und ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen.
    Da die Vorhänge nicht zugezogen waren, drang silbernes Mondlicht hinein. In diesem Licht beobachtete sie einen Moment lang ihren Bruder, der in seinem Bett lag und fest schlief, sein geliebtes Nintendo direkt neben sich auf dem Nachttisch. Dann wanderte ihr Blick hinüber zu ihrem eigenen Nachttisch, auf dem nur ein Wecker stand. Faith nahm ihn und drückte die Light-Taste, woraufhin sich das Display für einen Moment erhellte. Kurz nach Mitternacht. Da sie früh zu Bett gegangen war, hatte sie also schon einige Stunden geschlafen. Noch einmal überlegte sie, ob sie sich nicht einfach wieder hinlegen und weiterschlafen sollte, doch dann schüttelte sie den Kopf. Irgendwie fühlte sie sich viel zu fit und aufgedreht, um zu schlafen. Kurzerhand stand sie auf. Leise, um Will nicht zu wecken, schlüpfte sie in ihre Chucks und zog ihre Jeansjacke über das Nachthemd. Dann schlich sie zur Tür und öffnete sie, wobei sich ein leises Quietschen nicht verhindern ließ. Sie huschte über die Schwelle. Gerade als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, musste sie an ihr Tagebuch denken, das noch auf ihrem Bett lag. Wenn Will aufwachte und sah, dass sie nicht im Zimmer war, würde er bestimmt nicht zögern, es sofort an sich zu reißen. Sollte sie lieber noch einmal reingehen und es mitnehmen? Aber dann wurde ihr klar, wie blödsinnig das gewesen wäre: Sie wusste, dass Will schon mehr als einmal in ihrem Tagebuch gelesen hatte. Wo sollte sie es auch verstecken? Wenn man sich ein Zimmer teilte, war schlicht kein Platz für Geheimnisse.
    Also verwarf sie den Gedanken und ging weiter.
    Es war ein merkwürdiges Gefühl, im Dunkeln durch ein fremdes Haus zu tappen. Zum Glück schien der Mond hell, sonst wäre sie vermutlich ständig irgendwo angestoßen. Schließlich erreichte sie die Haustür und trat auf die Veranda hinaus. Draußen schlug ihr kühle Meeresluft entgegen, fuhr ihr sanft durch das hellblonde Haar, als wolle es sie streicheln, und
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