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Schattenturm

Schattenturm

Titel: Schattenturm
Autoren: Alex Barclay
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gezeigt hatte. Panik stieg in ihm auf. Er bog um eine Ecke. Eine ältere Frau lehnte auf dem Gang an der Wand und weinte herzzerreißend. Ein junger Mann tröstete sie. Joe blieb fast das Herz stehen. Sein Blick wanderte über die zahlreichen Türen. Er klopfte an die erste und öffnete, doch der Raum war leer. Nachdem er an drei weitere Türen geklopft hatte, hörte er schließlich ein ersticktes, leises »Ja?«.
    Joe betrat das Zimmer. Shaun hob den Kopf und stürmte zu seinem Vater.
    »Was ist mit ihr?«, fragte Joe.
    Schluchzend klammerte Shaun sich an ihn.
    Richie Bates wurde in Handschellen in die Polizeiwache in Waterford geführt. Seine Uniform war schmutzig und ramponiert, und von den Schläfen bis zur Wange war seine Haut aufgeschürft. Ein Beamter, der mit Bates zusammen die Polizeischule besucht hatte, schüttelte bei seinem Anblick fassungslos den Kopf.
    Shaun erklärte seinem Vater, was geschehen war.
    »Mom war schwer verletzt und hat schlimm geblutet. Zuerst wurde sie im Rettungswagen versorgt, dann in der Notaufnahme … jetzt ist sie im Operationssaal.«
    Shauns Bemühen, sich wie ein Erwachsener zu verhalten, brach Joe fast das Herz. Er fragte sich, woher der Junge die Kraft nahm, nachdem er bereits so viel durchgemacht hatte.
    »Komm her«, sagte er und drückte Shaun an sich. »Ich hätte dich nicht mit deiner Mutter allein lassen dürfen.«
    »Ist schon okay«, sagte Shaun.
    Die Selbstverständlichkeit, mit der er die Situation gemeistert hatte, erfüllte Joe mit Stolz.
    »Das ist gut«, sagte er. »Das hast du gut gemacht.«
    Sie setzten sich auf die Stühle im Wartezimmer. Joe erinnerte sich an den Tag, als er seine Mutter als Vierzehnjähriger ins Krankenhaus begleitet und dabei versagt hatte. Seine Mutter war schrecklich bedrückt gewesen, weil sie gewusst hatte, dass die Ärzte ihr mitteilen würden, dass sie an Krebs erkrankt war. Doch Joe hatte nur an sich selbst gedacht: Er hatte bloß Angst gehabt, dem Arzt über den Weg zu laufen, der ihn jedes Mal nach Schlägereien in einem kleinen Behandlungszimmer zusammenflickte.
    »Ich halte diese Warterei nicht aus«, sagte Joe nun zu Shaun. »Ich bin gleich wieder da.« Er ging zur Notaufnahme und blickte rasch in alle Richtungen. Eine Krankenschwester kam ihm entgegen. Ohne darüber nachzudenken, was er tat, hielt Joe sie am Arm fest. »Bitte«, sagte er mit rauer Stimme. »Meine Frau, Anna Lucchesi … ist sie … wird sie überleben? Ich weiß noch nicht einmal, wie schwer ihre Verletzungen sind …« Er zog seine Hand weg. »Entschuldigen Sie bitte.«
    »Schon gut«, sagte die Krankenschwester freundlich. »Warten Sie hier.« Sie verschwand hinter einem Vorhang und kam mit der Schwester zurück, die mit Shaun gesprochen hatte.
    »Nach der Operation kommt der Arzt sofort zu Ihnen, Mr Lucchesi«, sagte die Schwester. »Der Zustand Ihrer Frau ist kritisch, aber wir tun alles, was in unserer Macht steht.«
    Mit gesenktem Kopf stand Frank Deegan neben O’Connor im Warteraum des Krankenhauses. »Ich Dummkopf habe geglaubt, er wäre Polizist geworden, um Menschen zu retten und sich selbst eine zweite Chance zu geben. Als er mit ansah, wie dieser Dwyer ertrunken ist … Das muss ihm einen Kick versetzt haben.« Er schüttelte den Kopf.
    »Richie ging es wahrscheinlich um Macht«, sagte Myles O’Connor.
    »Und er glaubte, der Beruf des Polizisten wäre der einzige Job, der ihm Macht verleihen würde? Mein Gott!«
    »Es hat keinen Zweck, darüber zu spekulieren«, sagte O’Connor. »Sie wissen es nicht, und ich weiß es auch nicht.«
    »Ist die ganze Welt verrückt geworden?«, sagte Frank, zog ein weißes Taschentuch aus der Tasche und tupfte sich die Augen ab. »Für mich jedenfalls ist die Sache gelaufen«, sagte er. »Sie hatten Recht. Ich bin raus.« Er zuckte mit den Schultern. »Das war’s dann.«
    Joe konnte sich nicht überwinden, Annas Eltern anzurufen. Er nahm sich vor zu warten, bis die Operation vorbei war und er hoffentlich gute Nachrichten hatte. Er saß mit Shaun im Wartezimmer. Beide versuchten, die bedrückende Stille zu ignorieren und jeden Gedanken an einen tragischen Ausgang zu verdrängen. Sie sprachen über Sport und über die Schule, über New York, über Filme und Bücher – nur nicht über Anna.
    Der rote Renault Clio stand in einer verlassenen Ecke auf dem Angestelltenparkplatz vor dem Fährterminal in Rosslare. Duke Rawlins saß zusammengekauert auf dem Beifahrersitz. Als er eine Gestalt neben dem Fenster stehen sah,
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