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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde
Autoren: Kelley Armstrong
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schizophren. Ich bin paranoid, und ich habe Wahnvorstellungen. Die glaubt mir nicht mehr.«
    »Dann erzähl mir jetzt ganz genau, wie das Gewehr und der Pfeil ausgesehen haben, und ich sage, ich hätte sie auch gesehen. Halt, warte! Dieser Pfeil. Derek hat sich einen aus dem T-Shirt gezogen, stimmt’s? Weißt du noch, wo er ist?«
    »I-ich glaube.« Ich dachte nach, rief mir ins Gedächtnis, wie Derek den Pfeil in der Lieferanteneinfahrt fallen gelassen hatte. »Ja, ich weiß, wo er ist.«
    »Dann gehen wir doch einfach hin und holen ihn.«
     
    Ganz so einfach war es nicht. Wer wusste schon, ob der Fabrikhof nicht voller Polizisten war, die nach zwei Ausreißern suchten? Aber als wir ins Freie spähten, waren die einzigen Leute, die wir sahen, ein halbes Dutzend Fabrikarbeiter, die zu ihren sonntäglichen Überstunden eintrafen. Sie redeten und lachten. Brotdosen wurden geöffnet, Kaffeebecher dampften.
    Ich zog mein blutiges Sweatshirt aus und stattdessen Liz’ Kapuzenshirt an. Dann schlichen wir uns aus dem Lagerhaus und rannten draußen von einer Deckung zur nächsten. Keinerlei Anzeichen dafür, dass jemand nach uns Ausschau hielt. Was vielleicht gar nicht so überraschend war. Wie viele Teenager werden in Buffalo Tag für Tag weglaufen? Selbst wenn wir aus einem Wohnheim für psychisch gestörte Teenager verschwunden waren – eine ausgewachsene Menschenjagd rechtfertigte auch das nicht.
    In der vergangenen Nacht waren es wahrscheinlich nur die Angestellten von Lyle House gewesen, die uns verfolgt hatten. Vielleicht auch ein paar Mitglieder des Komitees wie Toris Mutter, denen es eher um den Ruf der Einrichtung ging als um unsere Sicherheit. Wenn sie unsere Flucht geheim halten wollten, dann hatten sie verschwinden müssen, bevor die ersten Angestellten eintrafen. Inzwischen saßen sie wahrscheinlich in einer Besprechung und versuchten zu entscheiden, was sie als Nächstes tun sollten und wann sie die Angehörigen – und die Polizei – benachrichtigen mussten.
    Ich fand den Pfeil ohne Schwierigkeiten und schob ihn in meinen Rucksack. Dann machten wir uns auf den Weg in das kleine Geschäftsviertel, wobei wir einen drei Straßenblocks weiten Bogen um Lyle House schlugen und die Augen offen hielten. Nichts geschah. Wir fanden eine Telefonzelle, ich rief ein Taxi und nannte dem Fahrer Tante Laurens Adresse.
     
    Tante Lauren lebte in einer Doppelhaushälfte in der Nähe der Universität. Als wir die Vortreppe hinaufstiegen, lag die
Buffalo News
noch auf dem Fußabtreter. Ich hob sie auf und drückte auf den Klingelknopf.
    Eine Minute später sah ich einen Schatten hinter der Gardine vorbeigleiten. Schlösser rasselten, und die Tür flog auf. Tante Lauren stand in einem kurzen Bademantel und mit nassem Haar auf der Schwelle.
    »Chloe? O mein Gott. Wo …« Sie öffnete die Tür ganz. »Was machst denn du hier? Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?«
    Sie zog mich an meinem verletzten Arm ins Haus, und ich versuchte, nicht zusammenzuzucken. Ihr Blick glitt zu Rae.
    »Tante Lauren, das ist Rae. Auch aus Lyle House. Wir müssen mit dir reden.«
     
    Als wir hineingingen, stellte ich die beiden einander richtig vor. Dann erzählte ich Tante Lauren die ganze Geschichte. Na ja, eine überarbeitete Version. Eine sehr kräftig überarbeitete Version, in der Zombies, Magie und Werwölfe nicht vorkamen. Die Jungen hatten flüchten wollen und uns zum Mitkommen eingeladen. Wir hatten uns drauf eingelassen, einfach zum Spaß – wir wollten raus, uns ein bisschen amüsieren und dann zurückkommen. Weil ich wusste, dass Tante Lauren nicht viel von Dr. Gill hielt, erwähnte ich, wie sie im Garten mit wilden Anschuldigungen über mich hergefallen war. Und dann erzählte ich von dem Gewehr.
    Sie starrte auf den Betäubungspfeil hinunter, der vor ihr auf einem Stoß von
New-Yorker
-Heften auf dem Sofatisch lag. Sie nahm ihn in die Hand, vorsichtig, als würde er gleich explodieren, und drehte ihn in zwischen ihren Fingern hin und her.
    »Das ist ein Betäubungspfeil«, sagte sie. Ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.
    »Das hatten wir uns auch gedacht.«
    »Aber … Die haben damit auf euch geschossen? Auf
dich?
«
    »Auf uns.«
    Sie sackte nach hinten an die Sofalehne, das Leder quietschte unter ihr.
    »Ich war dabei, Dr. Fellows«, sagte Rae. »Chloe sagt die Wahrheit.«
    »Nein, ich …«, sie hob den Blick zu mir, »ich glaube dir, Liebes. Ich kann’s einfach nicht fassen. Das ist so vollkommen …« Sie
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