Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
ist!«
    »Du lehnst sie nur ab, weil sie kein Geld hat und ihre Mutter am Alkohol gestorben ist!«

    »Das ist nicht wahr. Ich lehne sie nicht einmal ab, weil sie diese... Nacktfotos gemacht hat, obwohl ich so etwas nicht mag. Ich lehne sie ab, weil ich ihre Unehrlichkeit spüre. Sie liebt dich nicht, David, und wenn sie es hundertmal am Tag beteuert. Vertrau mir. Wir Blinden entwickeln oft die Fähigkeit, Schwingungen wahrzunehmen, die den Sehenden verborgen bleiben. Es ist fast greifbar für mich, daß sie dir ihre Gefühle nur vorspielt.« Andreas schwieg abwartend. Er konnte hören, daß David aufstand, fühlen, daß er wütend war. »Ich hatte geglaubt, wir machen uns ein gemütliches Silvester, Andreas. Aber wenn du streiten willst, dann tu das für dich allein. Ich werde zu Laura gehen.«
    »David! Geh nicht fort! Laß uns reden! Laß uns...«
    Die Tür fiel ins Schloß. Andreas blieb allein zurück.
    Und so hatten sich die Schicksalsfäden miteinander verwoben: Ein Kind, das Deutschland mit kranker Seele verlassen hatte und nun ein halbes Jahrhundert später, als alter, blinder Mann einsam in seinem Luxusappartement über dem Central Park an einem Herzinfarkt sterben würde — aus keinem anderen Grund als dem, daß ein verdammtes Telefon nicht an seinem Platz stand.
    Es war beinahe ein Uhr in der Nacht, als Andreas Bredow seinen letzten Atemzug tat – und David Bellino, ein junger Mann aus England, Erbe eines millionenschweren Vermögens wurde.

I.
Buch

New York, November 1989
    Obwohl David wie an jedem Abend eine Schlaftablette genommen hatte, wachte er bereits um drei Uhr morgens auf und wälzte sich ruhelos hin und her. Schließlich wurde auch Laura wach.
    »Was ist denn? Kannst du wieder nicht schlafen?«
    »Nein. Aber kümmere dich nicht um mich. Ich gehe rüber in mein Arbeitszimmer.«
    »Du solltest einen Arzt aufsuchen, David. Es gibt ja kaum noch eine Nacht, in der du durchschläfst!«
    »Ich war beim Arzt. Er hat mir diese Tabletten verschrieben, aber sie helfen nicht richtig. Wahrscheinlich brauche ich etwas Stärkeres. Aber mach dir keine Sorgen.« Er schob die Bettdecke zurück und stand auf. Im Dunkeln konnte er Lauras Gesicht nicht sehen, daher bemerkte er auch nicht ihre Feindseligkeit.
    Ich mache mir bestimmt keine Sorgen, dachte sie.
    Er ging in sein Arbeitszimmer, Andreas’ einstiges Arbeitszimmer, das er nach dessen Tod vor nunmehr beinahe einem Jahr völlig neu hatte einrichten lassen. Nur der Schreibtisch am Fenster war geblieben. Darauf stand eine gerahmte Fotografie von Andreas.
    David setzte sich. Er war müde und er fror. Die Tabletten, die er inzwischen in rauhen Mengen schluckte, hatten eine seltsame Wirkung auf ihn; sie machten ihn schläfrig, nahmen ihm aber nichts von seiner Unruhe, er hätte hundert Jahre schlafen mögen, aber zugleich schlug ihm das Herz bis zum Hals.
    »Ein Scheißzeug«, murmelte er, »Tabletten...sie machen einen immer kränker!«
    Er war ein gutaussehender Mann, sehr groß, dunkelhaarig, mit schmalen, hellen Augen. Den Frauen fielen zuerst immer
seine schönen Hände und seine breiten Schultern auf. Er war ein Mann, der um seine Wirkung auf Frauen wußte und sie gelegentlich nutzte. Jetzt aber, als er da übernächtigt am Schreibtisch kauerte, fühlte er sich eher miserabel. Seine Finger zitterten leicht, als er eine Schublade aufzog und die Pistole herausnahm, die zuoberst auf einem Berg gebündelter Briefe lag. Vorsichtig strich er über das schwarzglänzende Metall. Eine Spur Ruhe kehrte zurück.
    Seit Andreas’ Tod konnte er nicht mehr schlafen. Seit er an jenem Neujahrsmorgen in die Wohnung zurückgekehrt war und ihn tot vor dem Schreibtisch gefunden hatte, schien ihm sein Leben aus der Bahn geraten zu sein. Beruhigungspillen wurden auf einmal seine ständigen Begleiter, retteten ihn über die Stunden hinweg, in denen ihn Schuldgefühle und Ängste peinigten. In denen er wieder und wieder die letzte Szene der Silvesternacht vor sich sah:
    »Ich werde zu Laura gehen!« hatte er gesagt. Sein Blick war gleichzeitig auf den Schreibtisch gefallen, auf den Telefonapparat. Andreas kannte Lauras Telefonnummer; Laura wohnte damals in einem kleinen Appartement über dem Hudson, das David ihr bezahlte.
    Und du wirst mich dort nicht stören, dachte David, nicht noch einmal!
    Andreas hatte einige Male bei Laura angerufen, wenn er wußte, daß sich David bei ihr aufhielt. Es hatte ein paar unerfreuliche Szenen gegeben. In dieser Nacht wollte David sich nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher