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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel
Autoren: Charlotte Link
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meines Testaments. Ich habe dich zu meinem Alleinerben gemacht. Alles, was mir gehört, sollst du einmal bekommen.«
    Alles, was ihm gehörte, waren Millionen. Andreas wollte etwas sagen, aber Rudolf winkte ab. »Ich täte es nicht, wenn ich nicht wüßte, daß du damit umgehen kannst. Du hast immer wieder deinen Verstand und deine Zuverlässigkeit bewiesen. Ich habe großes Vertrauen in dich, Andreas.«
    »Glaubst du wirklich, ich bin all dem gewachsen?« fragte Andreas zweifelnd.
    »Ich bin felsenfest davon überzeugt«, erwiderte Rudolf.
    Andreas war fünfundzwanzig, als Judith an einem Gehirntumor
starb. Vier Jahre später kam Rudolf bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Er lag noch einen Tag lang schwerverletzt in einem texanischen Krankenhaus, und als er, kurz bevor er starb, noch einmal das Bewußtsein erlangte, sah er Andreas, der sofort aus New York gekommen war und nun an seinem Bett saß. »Andreas, du solltest heiraten«, sagte er, »und Kinder haben. Allein sein ist nicht gut.«
    Andreas erinnerte sich dieser Worte in den folgenden Jahren immer wieder, wenn ihm die Einsamkeit weh tat und er mit zusammengebissenen Zähnen durch seine Depressionen ging. Er stürzte sich in seine Arbeit, sorgte dafür, daß er auch an den Wochenenden keinen Moment unbeschäftigt war. Seine Sekretärinnen stöhnten, weil er soviel Streß verursachte. Im Sommer 1967, Andreas war gerade vierzig, erlitt er einen Herzinfarkt. »Wenn’s geht«, sagte sein Arzt betont, »dann möglichst keinen zweiten, Mr. Bredow. Sie sind zu jung, als daß Ihre Pumpe jetzt schon schlappmachen sollte.«
     
    Seit seinem achtzehnten Geburtstag hatte Andreas immer wieder versucht, etwas über das Schicksal seiner Freundin Christine herauszufinden. Noch immer quälte ihn sein Gewissen, weil er Deutschland ohne sie verlassen hatte. Im Herbst 1969 konnten ihm seine Privatdetektive, die er in Europa beschäftigte, eine erfreuliche Mitteilung machen.
    »Wir haben Christine gefunden. Ihr Vater starb 1940. Christine und ihre Mutter schlugen sich mehr schlecht als recht durch und blieben sogar weitgehend unbehelligt. Christine heiratete später den italienischen Kaufmann Giuseppe Bellino, mit dem sie nach London ging. Die beiden bekamen einen Sohn, David. Schon kurz nach der Geburt des Kindes starb Giuseppe Bellino an einer schweren Lungenentzündung. Christine und David blieben allein. Der Junge ist heute neun Jahre alt.«
    Nie würde Andreas den Moment vergessen, als er Christine und dem kleinen David zum erstenmal gegenüberstand. Was für ein schöner Junge das Kind war! Schlank und blaß, tiefdunkles Haar – ein Erbe seines italienischen Vaters –, helle Augen, die ein
wenig versonnen dreinblickten und dann plötzlich ganz wach sein konnten, wenn das Wort an ihn gerichtet wurde. Er neigte sich zu ihm. »Du bist also David. David Bellino.«
    Er nickte. Jeder andere hätte festgestellt, daß David zu ernst war für sein Alter, aber Andreas hatte keinerlei Erfahrung mit Kindern. Er sah nur das unverdorbene, junge Gesicht und hatte das Gefühl, endlich einen Menschen gefunden zu haben, dem er alles schenken konnte, was es an Liebe und Zärtlichkeit in ihm gab.
    Andreas und Christine genossen ihr Wiedersehen; sie hatten beide nie aufgehört, in der Vergangenheit zu leben, und miteinander konnten sie all die Erinnerungen auferstehen lassen, in denen sie sich während der vergangenen Jahre allein bewegt hatten. Andreas erfuhr, wie sehr Christine unter dem Tod ihres Vaters und später unter dem ihres Mannes gelitten hatte.
    »Mein Vater war alles für mich«, sagte sie, »ich habe ihn vergöttert, und ich werde nie darüber hinwegkommen, daß er so früh in diesem furchtbaren Lager sterben mußte. Giuseppe war ihm ein bißchen ähnlich. Ich habe ihn sehr geliebt. Er war zwanzig Jahre älter als ich, und er gab mir Wärme und Geborgenheit. Ich dachte, ich würde es nicht aushalten, als er plötzlich starb. Ich hätte es auch vielleicht nicht ausgehalten, wenn David nicht gewesen wäre. David ist alles, was mir geblieben ist. Ich liebe dieses Kind so sehr, Andreas, ich kann es dir kaum sagen, was ich für den Jungen empfinde. Ich möchte, daß er einmal ein Mann wird wie es mein Vater war.«
    David hörte mit großen Augen zu. Er war auch dabei, als Andreas kurz vor seiner Abreise Christine ins Wohnzimmer bat, sie in einen Sessel drückte, sich ihr gegenübersetzte und ihre beiden Hände nahm. »Christine, ich habe mir etwas überlegt. Ich fände es
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