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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel
Autoren: Charlotte Link
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zu stinken. Am Nachbartisch hatte sich eine Gruppe von Geschäftsleuten niedergelassen, Südstaatler dem Akzent nach, aus Kentucky vermutlich. Kräftige, muskulöse Körper, hineingezwängt in etwas zu enge Nadelstreifenanzüge. Die Männer tranken Bier und unterhielten sich lautstark über die geilen Weiber, mit denen man es sich ja sogar in dem verfluchten New York noch ganz gemütlich hatte machen können, und darüber, daß man jetzt den eigenen Frauen daheim wieder einigermaßen cool gegenübertreten müßte.
    Über den Gang kam eine alte Negerin, gehüllt in ein bodenlanges, kaftanähnliches Gewand, auf dem Kopf einen Turban. Sie reiste nicht mit Koffern, sondern mit unzähligen Plastiktüten. Ihre riesigen, nackten Füße steckten in offenen Ledersandalen.
    Irgendwo stand schreiend ein Kind; die Mutter war schon vor geraumer Zeit in der Toilette verschwunden, und nachdem der kleine Junge die ganze Zeit still geblieben war und sich nur aus großen, neugierigen Augen umgesehen hatte, schien er sich plötzlich seiner Verlassenheit bewußt zu werden und schrie wie ein junges Tier, das sich plötzlich in der freien Wildbahn stehen sieht und Angst hat, weil keine Wärme, keine zärtliche Stimme, kein vertrauter Geruch da ist.
    Wieviel Angst haben wir, wenn uns das Liebste genommen wird, dachte Gina. Laut sagte sie: »Laura hat wohl einfach geglaubt, sie kann das Leben nicht mehr ertragen.« Und damit war alles gesagt, was man über Lauras Tod sagen konnte, und die anderen nickten, weil jeder wußte, man konnte an einen Punkt kommen, von dem man glaubt, er sei das Ende.
    Die Herren am Nebentisch wurden immer lauter, und Gina schlug schließlich vor, schon an das betreffende Gate zu gehen,
denn inzwischen waren es nur noch vierzig Minuten bis zum Abflug. Gerade als sie alle aufgestanden waren, sagte Steve plötzlich: »Ich fliege nicht mit nach London.«
    Die beiden Frauen starrten ihn an. Mary sagte leise: »Steve...«
    Er schien auf geheimnisvolle Weise in den letzten Tagen erwachsener geworden zu sein. Wie er so dastand in seinem uralten Anzug, einen abgetragenen Mantel über dem Arm, einen Schal auf die frühere lässige Steve-Weise um den Hals geschlungen, hatte er etwas Überzeugendes, das ihm früher immer gefehlt hatte. »Mary, du mußt das jetzt mit deiner Ehe in Ordnung bringen. Reich die Scheidung ein, schnapp dir Cathy und geh zu Nat nach Paris. Ich weiß noch nicht, was dann wird, aber jetzt möchte ich zuerst zu meinen Eltern. Ob es ihnen paßt oder nicht, ich werde vor ihrer Haustür stehen. Sie hatten nie das Recht, mich aus ihrem Leben zu streichen. Ich habe damals für Alan meinen Kopf hingehalten, und Alan ist ihr Sohn, und mit der ganzen Geschichte können sie mich nicht allein lassen. Ich werde ihnen, verdammt noch mal, so lange auf die Nerven gehen, bis sie mich aufnehmen.«
    »Alle Achtung, Steve«, sagte Gina und grinste, aber es war ein freundschaftliches Grinsen.
    Steve gab beiden Frauen einen eiligen Kuß. »Ich werde versuchen herauszufinden, ob heute noch ein Flug nach Atlanta geht. Mary, ich rufe dich bei Nat an!« Schnell wie der Blitz war er im Menschengewühl untergetaucht.
    »Erstaunlich«, sagte Gina. Noch immer etwas perplex bahnten sich die Frauen den Weg zu ihrem Gate.
    Mary blieb plötzlich stehen. »Irgendwie denke ich, das alles hat doch einen Sinn gehabt.«
    »Was?«
    »Daß David uns eingeladen hat. Daß der Inspektor noch einmal alles aufrollen mußte. Es hat sich etwas geändert, oder nicht?«
    »Vielleicht«, sagte Gina zögernd, »sind wir ein bißchen klüger geworden.«
    »O ja, das sind wir«, erwiderte Mary. »Wir sind klüger. Was
uns angeht, was David angeht. Wir wissen mehr, Gina. Und wir machen nicht länger die Augen zu vor unserem Wissen. Wir sind um ein gutes Stück Selbstgerechtigkeit erleichtert, und wir nehmen unser Leben wieder in die Hand. Schau dir Steve an, er wird...«
    »Wir wissen nicht, was Steve tun wird. Kann sein, seine Eltern werfen ihn sofort wieder hinaus. Und du... wissen wir, ob du es schaffst, dich von deinem Mann zu trennen? Wird Nat je frei sein von den Pillen? Und was, um Gottes willen, mach ich mit Charles Artanys Schulden? Wir wissen nichts, Mary. Gar nichts!«
    »Ja, aber es ist doch etwas in Bewegung geraten«, beharrte Mary schüchtern, aber nachdrücklich. »Wir alle versuchen doch wenigstens, einen Weg zu finden. Als du vorhin sagtest, Laura hat gedacht, es ist alles zu Ende, habe ich überlegt, daß es uns allen so ging. Wir
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