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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel
Autoren: Charlotte Link
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Fingern weh taten, sondern die Einsamkeit in meinem Herzen.
    Während ich das hier schreibe, trinke ich einen Walnußschnaps nach dem anderen. David hat ihn aus Europa kommen lassen. Ich glaube, das ist etwas ganz Exklusives, nur sehr schwierig zu kriegen. David hatte immer einen Hang zu solchen Dingen.
    Ich bin schon ganz durcheinander. Ich fürchte, ich habe ein bißchen viel von dem herrlichen Getränk erwischt. Mein Kopf
dreht sich. Nein... es dreht sich in meinem Kopf, so muß es heißen. Ich bin sehr müde, lebensmüde wahrscheinlich. Ich kann nicht sagen, wie groß meine Trauer um Ken ist. Wann habe ich ihm zuletzt gesagt, daß ich ihn liebe? Und hat er es mir überhaupt geglaubt? Er hätte anderes von mir gebraucht als mein Geld. Noch jetzt schäme ich mich, wenn ich daran denke, wie ich auf ihn gewirkt haben muß in diesem Keller, in den von Gott weiß woher das Wasser tropfte, wo das Moos an den Wänden wuchs und die Kakerlaken aus allen Ritzen krochen – wie muß ich gewirkt haben in meinen verdammten feinen Kleidern und teuren Schuhen und dem Duft von ›Giorgio‹ um mich herum! Ich bin ausgebrochen aus unserer Welt und habe ihn zurückgelassen. Warum weiß man so oft nicht, was man wirklich will? Ich hätte David mitsamt seinem Gerede und seinem Scheißgeld kühl lächelnd stehen lassen und mein eigenes Leben führen sollen. Ich wäre mir selbst treu geblieben, das ist die wichtigste Treue, und ich wäre ein Mensch geblieben, der innerlich frei ist. Aber ich weiß genau, hätte ich die Möglichkeit, das alles noch einmal zu erleben, ich würde dieselben Fehler begehen, denselben Irrtümern unterliegen, denselben Kummer haben müssen. Man wird sicher klüger durch Erfahrung, aber manchmal weiß man, daß man trotz allem keine andere Möglichkeit hätte.
    Wie sieht mein Leben denn jetzt aus? Irgend jemand wird mich verraten, soviel ist sicher. Ich werde alles verlieren und für zwanzig Jahre ins Gefängnis gehen. Wenn ich herauskomme, bin ich nicht mehr jung. Vielleicht findet sich irgendein abgewrackter Kerl, der mich heiratet, ein Witwer, dessen Brut ich aufziehe, dessen Launen ich ertrage, dem ich abends sein Bier bereitstelle und der dann im Bett grunzend über mir einschläft. Noch wahrscheinlicher ist, es findet sich keiner. Ob ich dann in einem Supermarkt an der Kasse sitze? Oder die Klos in einem Krankenhaus putze? Was auch immer, es wird alles leer und trostlos sein ohne Ken. Es wird nichts geben, worüber ich mich freue, worüber ich lache oder traurig bin. Alles ist von einer trostlosen Leere. Ich bin nicht bereit, diese Traurigkeit zu ertragen, ich glaube, ich kann sie nicht ertragen. Lebte Ken noch, gäbe es
irgendwo eine Hoffnung. So aber mündet alles nur in Trostlosigkeit.
    Ich bin jetzt ziemlich besoffen. Da ich nicht mehr genau weiß, was ich tue, tue ich am besten etwas Drastisches. David, der potentielle Selbstmörder, hatte immer Zyankali in der Wohnung. Er braucht es nicht mehr, also werde ich mich bedienen. Ich sterbe an einem schönen, strahlenden Dezembertag in New York. Gehüllt in Seide, wenigstens das. Diesen Brief gebt Inspektor Kelly, unserem Freund. Er ist ein Schuldgeständnis; somit läßt er euch dann hoffentlich endlich nach Hause fliegen.
    Tut mir leid, daß ich euch so viele Umstände gemacht habe. Lebt wohl.
    Eure Laura.«

New York, 3.1.1990
    »Letzter Aufruf für den Flug 707 der Air France nach Paris !«
    »Scheiße«, sagte Natalie. »Fällt dieser Abschied nur mir so schwer, oder geht es euch auch so?«
    »Manchmal sind Flughäfen widerlich«, murmelte Gina, »und JFK ist unter Umständen der widerlichste.«
    »Gibt es hier eigentlich kein besseres Cafe als das, in dem wir gelandet sind?« fragte Natalie. Ein paar verklebte Tische und harte Bänke, mehr oder weniger mitten auf dem Gang. An einer Theke konnte man sich etwas zu essen oder zu trinken holen. Gina hatte Baked Potatoes mit Pilzen organisiert. Jeder hatte vorher erklärt, genau darauf Lust zu haben, und jeder hatte seine Portion nach dem ersten Bissen von sich geschoben.
    »Das sind keine Pilze, sondern eine Soße!«
    »Eine ekelhafte Soße.«
    »Eine Pilzpampe ist das, mehr nicht!«
    Auf dem mit Cola verklebten Tisch standen nun vier Teller mit angegessenen Kartoffeln, ein Glas Sekt von Gina und drei Gläser Mineralwasser. Eine grelle Deckenlampe beleuchtete die triste Szenerie. Natalie und Gina paßten am wenigsten in diese Umgebung; sie waren viel zu elegant gekleidet. Gina erinnerte sich, daß sie
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