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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel
Autoren: Charlotte Link
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mit gutem Appetit, als Helen, das junge, blaßblonde und bemerkenswert emotionslose Hausmädchen den Raum betrat. »Miss Hart liegt in ihrem Schlafzimmer auf dem Fußboden. Ich glaube, sie ist tot.«
    Lauras Gesicht wirkte leicht verkrampft, ihre Lippen standen offen, hatten sich bläulich verfärbt. Natalie neigte sich über sie und nahm den Geruch von Bittermandeln wahr, der aus ihrem Mund drang. Leise sagte sie: »Das war Zyankali, glaube ich.«
    Der Arzt bestätigte diese Diagnose. »Sie muß eine Kapsel geschluckt haben. Zyankali lähmt sofort die Atmung. Es ist ein schneller Tod.«
    In fassungslosem Erschrecken umstanden sie alle die Szene: Die tote junge Frau auf dem Fußboden, der grauhaarige Arzt, der neben ihr kniete.
    »Wie lange ist sie schon tot?« fragte Gina. »Es kann ja erst passiert sein, nachdem Steve bei ihr war.«
    »Eine Viertelstunde vielleicht«, meinte der Arzt. »Jedenfalls bestimmt nicht viel länger.«
    Inspektor Kelly kam an, als man Laura gerade auf einer Bahre aus dem Haus trug. »Was ist passiert?« rief er entsetzt.
    »Aus dem Weg!« herrschte ihn einer der Träger an.
    Sergeant Bride, der gleich hinter ihm ging, dachte voll verhaltener Wut, jetzt wird diese verdammte Geschichte noch komplizierter! Er hatte sich geirrt. Eine halbe Stunde später händigte eine ziemlich blasse Natalie dem Inspektor einen mehrseitigen Brief aus.
    »Also doch«, sagte er, nachdem er ihn gelesen hatte, »Laura hat ihn erschossen. Vorausgesetzt, das Schreiben ist echt.«
    »O nein«, entgegnete Natalie sarkastisch, »wissen Sie, Inspektor, wir vier anderen haben Laura gewaltsam Zyankali eingeflößt, und dann haben wir diesen Brief geschrieben, um uns von allem Verdacht, sowohl was Laura, als auch was David betrifft, freizusprechen. Ein raffinierter Plan, aber wir hätten wissen müssen, daß ein Mann wie Sie ihn sofort durchschaut.«
    Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu und vertiefte sich wieder in das Schreiben.

    In Lauras Schlafzimmer hing noch der Geruch ihres Parfums, über einer Sessellehne lagen ihre Kleider vom Vortag. Überall die Scherben der Kristallvase, Ausdruck der Verzweiflung, durch die Laura während ihrer letzten Minuten gegangen sein mußte. Inspektor Kelly sah um Jahre älter aus, als er sagte: »Kaum hatte ich den Telefonhörer aufgelegt, da wußte ich, daß ich ihr die Nachricht von Kens Tod besser persönlich überbracht hätte.«
    Schon am Nachmittag entspann sich zwischen Nat, Gina, Mary und Steve eine Diskussion darum, wo man Laura beerdigen sollte. Es war, als versuchten sie durch betonte Sachlichkeit ihr eigenes Entsetzen zu überlisten. Steve, konservativ wie er war, plädierte für Davids Grab. »Die beiden lebten zusammen. Also müssen sie auch gemeinsam beerdigt werden.«
    »Hör mal zu, Steve, alle beide würden sie dich steinigen, wenn sie dich jetzt hören könnten«, erwiderte Natalie. »Keiner von ihnen hätte sich das gewünscht.«
    »Sie muß bei Ken beerdigt werden«, meinte die romantische Mary, und alle wollten bereits zustimmen, da sagte Gina in ihrer oft überraschend hellsichtigen Art: »Nein. Begrabt sie bei ihrer Mum. Sie hat so an ihrer Mum gehangen.«
    »Auf einem Armenfriedhof?«
    »Sie ist dann bei ihrer Mutter! Es wird ihr gleich sein, ob das ein Armengrab ist oder eine Königsgruft. Ich bin sicher, sie hätte es so gewollt!«
    Sie nahmen alle teil an Lauras Beerdigung, am 2. Januar, an einem frostkalten, klaren Tag auf einem schneebedeckten, ärmlichen Friedhof in der Bronx. Ein scharfer Wind wehte über die öde Fläche mit den verstreut liegenden Grabsteinen. Feiner, kristallener Schnee wirbelte auf. Außer Inspektor Kelly, Gina, Nat, Steve, Mary und einem Pfarrer gab niemand Laura das letzte Geleit. Der einfache Sarg verschwand leise und schnell in der Erde, die wegen der Kälte kaum hatte aufgehackt werden können. Ein seltsamer Gedanke, daß Laura darin lag – die anderen, die frierend, mit hochgeschlagenem Mantelkragen um das Grab herumstanden, hatten das Gefühl, eine sehr gute Freundin zu verlieren.
Sie war unerwartet in ihrer aller Leben getreten, hatte ein paar Tage darin verweilt und war dann rasch und ebenso unerwartet wieder verschwunden. Laura Hart, in einem Seidenkleid von Valentino, auf einem Armenfriedhof von New York. Bis ins Grab hinein verfolgte sie dieser Zwiespalt ihres Lebens.
    »Warum hat sie es getan?« fragte Mary noch einmal, an dem klebrigen Tisch auf dem lauten, überfüllten Flughafen. Die erkaltete Pilzsoße begann
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