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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel
Autoren: Charlotte Link
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hing zwischen den Wänden. Auf dem Weg zum Schreibtisch mußte Andreas einen Hausschuh verloren haben; er lag mitten auf dem Teppich. Im beleuchteten Aquarium auf dem Regal jagten sich pfeilschnell ein paar Fische.
    David zuckte zusammen, als plötzlich das Telefon schrillte. Mit zitternden Händen nahm er den Hörer ab. »Ja bitte?«

    »Mr. Bredow?« Das war der Portier. David räusperte sich.
    »Nein. Hier ist David Bellino.«
    »Ah, Mr. Bellino! Guten Morgen. Die Leute vom Restaurant sind hier und möchten das Geschirr wieder abholen. Kann ich sie hinaufschicken?«
    »Es ist... es ist leider etwas Furchtbares passiert...,‹
    »Mr. Bellino? Sie klingen ja ganz merkwürdig. Was ist denn los?«
    »Als ich eben nach Hause kam, fand ich meinen Onkel vor seinem Schreibtisch liegen. Er...ist tot ...«
    Diese Worte hingen bis heute im Raum. Und die Erinnerungen. Die Erinnerung vor allem daran, wie er, noch ehe der Arzt und die Polizei eintrafen, das Telefon an seinen alten Platz gestellt hatte. Nachher dachten alle, Andreas habe nicht mehr die Kraft gefunden, den Hörer abzunehmen. Niemand ging der Sache weiter nach. Über Andreas’ Tod wurde in allen Zeitungen berichtet, aber dann war alles rasch wieder vergessen. David, der Erbe, rückte in den Mittelpunkt der New Yorker Gesellschaft, er lieferte nun den Stoff für die Gazetten, seine Liaison mit Laura Hart gab den farbigen Hintergrund für Klatsch und Tratsch. Kein Mensch machte ihm einen Vorwurf, obwohl man wußte, daß er in der Silvesternacht Streit mit Andreas gehabt und ihn allein gelassen hatte. Wie hätte er ahnen sollen, daß Bredow gerade in dieser Nacht einen Infarkt erleiden würde?
    David dachte viel nach über Andreas, jetzt, wo er tot war, sehr viel mehr als früher. Er hatte den alten Mann gemocht, genauer gesagt: Er hatte keinen Grund gefunden, ihn nicht zu mögen, und er hatte sich immer geschämt, wenn da doch etwas war, was an ihm nagte, was ihn innerlich opponieren ließ. Andreas war nur nett zu ihm gewesen, auch der Streit um Laura Hart war der Besorgnis entsprungen, und er hatte zweifellos darunter gelitten, in Unfrieden mit seinem Schützling zu leben. David erinnerte sich an die vielen Ferien, die er in New York verbracht hatte: Andreas hatte alles für ihn getan. Er sollte es schön haben, er sollte etwas erleben, er sollte gern wiederkommen wollen. Er hatte dem Jungen eine Menge Zeit gewidmet, ihm die ganze
Stadt gezeigt, hatte ihn einmal auch mit nach Los Angeles genommen und einmal nach Colorado zum Skifahren. Daheim hatte David nie gewußt, wo er mit dem Erzählen anfangen sollte. Und dennoch... da war dieses leise Unbehagen. Die Melancholie in Andreas’ Augen war dieselbe, die in den Augen von Davids Mutter stand. Diese Entrücktheit, dieses Festhalten an Vergangenem. Es hatte ihn bei Christine bedrückt, und es bedrückte ihn bei Andreas. Manchmal bekam er ein schlechtes Gewissen, weil er sich freute und lustig war und ihre Traurigkeit nicht teilen konnte. Niemals würde er das Gespräch vergessen, das Andreas mit ihm führte, als er gerade sechzehn geworden war. Weihnachten 1976. David war am 25. Dezember nach New York geflogen. In Andreas’ Penthouse erwartete ihn ein riesengroßer, über und über mit bunten Kugeln geschmückter Tannenbaum, unter dessen ausladenden Zweigen wahre Berge von Geschenken lagen. Andreas bot ihm ein Glas Champagner an. Der Plattenspieler spielte Weihnachtsmusik, es roch nach Kerzenwachs und Tannennadeln. David saß inmitten seiner Geschenke und fühlte sich wohl. Einfach nur richtig wohl.
    Er hielt eine Uhr in der Hand, eine wunderschöne Armbanduhr mit schwarzem Zifferblatt und schmalen, goldenen Zeigern. Ein Geschenk von Andreas. Er schaute auf und lächelte. »Danke, Andreas. Die ist wirklich toll! Woher wußtest du, daß ich mir genau eine solche Uhr gewünscht habe?«
    »Deine Mutter hat es mir verraten«, erwiderte Andreas. Er betrachtete den Jungen, und irgendwie wurde es David ungemütlich unter seinem Blick. »Ich freue mich, wenn sie dir gefällt, David. Ich freue mich...wenn es dir überhaupt gefällt, hier bei mir zu sein.«
    »Du weißt, daß ich immer gerne nach New York komme«, sagte David vorsichtig.
    Andreas nickte. »Wenn du in England mit der Schule fertig bist, wirst du ja für immer in Amerika leben. Ich hatte oft Angst, du könntest es dir anders überlegen und plötzlich feststellen, daß du das Land vielleicht nicht magst. Aber du magst es, nicht wahr? Und du... magst auch
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