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Schattennaechte

Schattennaechte

Titel: Schattennaechte
Autoren: Tami Hoag
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Garten stammten.
    Das Badezimmer des Elternschlafzimmers bildete einen schönen Kontrast zu der rustikalen Einrichtung: weißer Carrara-Marmor mit weiß gestrichenen Schränken und blassblauen Wänden. Lauren und Sissy hatten keine Mühen gescheut, um den Raum in ein Refugium zu verwandeln, in dem man es sich, mit einem Glas Wein und einem Buch, in der Badewanne gemütlich machen konnte.
    Doch dazu war Lauren im Moment viel zu angespannt. Wenn sie so früh am Tag zu trinken begann, würde sie es nicht mehr in den Supermarkt schaffen, um etwas zum Abendessen einzukaufen. Seit Jahren schon hatte sie kein Buch mehr zum Vergnügen gelesen. Allein der Gedanke, sich ein Vergnügen zu gönnen, verursachte ihr Schuldgefühle.
    Schnell duschte sie und vermied jeden Blick in den Spiegel. Früher war sie schlank und durchtrainiert gewesen. Jetzt war sie dermaßen dünn, dass sie jede einzelne Rippe unter den Fingerspitzen spürte, wie ein Blinder, der Brailleschrift las. Dennoch brachte sie es nicht über sich, mehr zu essen. Bei dem Gedanken an eine richtige Mahlzeit wurde ihr schlecht. Sie lebte von Müsliriegeln und Energydrinks. Nach der Dusche schlüpfte sie rasch in ihren Bademantel und knöpfte ihn bis unters Kinn zu.
    Mit ihren zweiundvierzig Jahren war sie im besten Alter. Aber das Gesicht, das sie aus dem Spiegel anblickte, wirkte um vieles älter. Ihre Haut war bleich, und um ihren Mund hatten sich tiefe Falten eingegraben. Das einstmals schwarze Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Sie kämmte sich und überlegte einen Moment lang, ob sie es färben sollte. Sofort verwarf sie den Gedanken wieder.
    Sie verdiente es nicht, gut auszusehen. Sie verdiente es nicht, Zeit für sich zu haben. Sie hatte jede einzelne ihrer grauen Strähnen verdient. Sie trug sie mit einem gewissen abartigen Stolz.
    Bevor Leslie verschwunden war, war Lauren nicht weniger eitel gewesen als die meisten Frauen ihres Alters. Sie war gerne durch die Geschäfte gezogen und hatte nur die neueste Mode getragen. Jetzt zog sie Jeans an und ein schwarzes T-Shirt, das ihr viel zu weit war, band ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und verließ das Haus mit einer großen Sonnenbrille vor den ungeschminkten Augen.
    Oak Knoll war mit seinen dreißigtausend Einwohnern das, was Lauren als »Schmuckstädtchen« bezeichnete. Pittoresk, charmant, wohlhabend. Nicht zu groß und nicht zu klein. In der Stadtmitte befand sich eine von Eichen gesäumte Fußgängerzone, in der sich auf beiden Seiten Cafés, Buchhandlungen, Galerien und Restaurants aneinanderreihten. Im Süden und Westen lagen hübsche alte Wohnviertel und das College.
    Sissy Bristol hatte in den Sechzigerjahren ihren Abschluss am McAster gemacht. Das McAster war eines der exklusivsten Privatcolleges des Landes und besonders für seinen Fachbereich Musik bekannt. Genau diese Mischung aus akademischem und künstlerischem Leben hatte für sie den Ausschlag gegeben, sich für Oak Knoll zu entscheiden, als sie und Bump nach einem Domizil fernab des städtischen Getriebes gesucht hatten.
    Etwa eine Fahrtstunde landeinwärts von Santa Barbara und anderthalb Stunden nordwestlich von Los Angeles gelegen, zog Oak Knoll aus den nördlichen Vororten wohlhabende Bildungsbürger im Ruhestand und junge Berufstätige mit Familie an, die an einem ruhigen, sicheren Ort wohnen wollten.
    So kam es, dass die Wirtschaft in Oak Knoll florierte, die Infrastruktur und die Schulen in einem ausgezeichneten Zustand waren und unter den Bewohnern eine optimistische Stimmung herrschte.
    Selbst die Lebensmittelläden waren vom Feinsten. Lauren parkte auf dem frisch asphaltierten Parkplatz des neuen Supermarkts mit Klinkerfassade und getönten Schaufensterscheiben. Sie holte sich einen Einkaufswagen und schob ihn in das Geschäft, wo ein wahres Blumenmeer die Kunden empfing.
    Cleveres Marketing. Zuerst einen Blumenstrauß für den hübsch gedeckten Tisch, dann eine Flasche Wein. Warum kochen? Man kann sich doch auch ein Fertiggericht aus der Feinkostabteilung holen.
    Lauren gab der Versuchung gerne nach. Griechischer Nudelsalat. Pochierter Lachs mit Dill. Aus der Backwarenabteilung eine frische Apfeltarte.
    Leah hatte vor Kurzem beschlossen, Vegetarierin zu werden, aber Lauren bestand darauf, dass sie wegen der Proteine wenigstens Fisch und Eier aß. Im Gegenzug hatte Leah Lauren das Versprechen abgenommen, zum Abendessen stets ein wenig Brot zu essen, weil es ihr Sorgen machte, dass ihre Mutter immer dünner wurde. Also
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