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Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd
Autoren: Lilith Saintcrow
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unvermeidlichen Abgang die eine oder andere Version ewiger Qualen zu durchleiden. Es ist aber, und das sage ich euch, eh zu spät. Denn wenn man es präzise betrachtet, bin ich schon zur Hölle gefahren – und zurückgekehrt. Daher habe ich auch einige meiner Fähigkeiten. Die meisten von euch fragen sich jetzt bestimmt, wovon zum Teufel ich eigentlich rede oder ob das ein schlechter Scherz ist. Licht!“
    Die Beleuchtung flackerte kurz und ging dann aus. Kein Einziger starrte zum Schalter neben der Tür. Ich schnippte mit den Fingern und der Diaprojektor erwachte brummend zum Leben. „Ich versichere euch“, sagte ich in die schwere Stille hinein, „ich mache keine Scherze. Das hier sind Fotos von Tatorten eines Falls, den ihr vielleicht wiedererkennt, falls ihr vor eineinhalb Jahren mal Zeitung gelesen habt.“
    „Großer Gott“, keuchte jemand.
    „Falsch. Was ihr hier seht, ist das Werk eines entarteten Werwesens. Weiß jemand, worin sich diese Szenerie von einem normalen Mord unterscheidet?“
    Jemand fing an zu husten. Würgte.
    „Das habe ich auch nicht angenommen. Wenn wir heute fertig sind, werdet ihr es wissen. Wenn ihr dann bitte die Ordner öffnen wollt …“
    „Was zur Hölle soll das sein?“ Das kam von einem großen, fast kahlgeschorenen Frischling, der nach Haargel roch.
    Jetzt kommt’s. Ich hatte zumindest nicht weit danebengelegen. Er machte dieselbe kleine Bewegung, die eine Menge Zivilisten machen, wenn sie mit der Schattenwelt konfrontiert werden – er zuckte mit dem Kopf, als wolle er sich öliges Wasser abschütteln, wie ein Hund oder ein Pferd. „Woll’n Sie uns verarschen oder so? Was für eine Scheiße ist das?“
    „Ich meine es völlig ernst, Grünschnabel. Todernst. Deine Festanstellung bei der Polizei hängt davon ab, ob du diesen Tageskurs zu meiner Zufriedenheit abschließt oder nicht. Denn glaub mir, ich habe keine Lust darauf, irgendeinem von euch Hinterwäldlern an meinem nächsten Tatort in der Opferrolle zu begegnen. Die einfachen Regeln, die ich euch beibringe, werden für eure Sicherheit garantieren. Licht!“
    Das Licht ging wieder an, und mein Lächeln war gar nicht nett. Sie starrten mich fassungslos an.
    „Ich sag’s euch geradeheraus, liebe Anfänger. Ihr alle müsst die Nummer für meinen Nachrichtendienst auswendig lernen, über den man mich anpiepen kann. Betet, dass ihr diese Nummer niemals braucht. Drei oder vier von euch werden aber nicht darum herumkommen. Einige von euch werden nicht mehr die Zeit dazu haben. Aber wenn euch einer der Nachtschatten niedermetzelt, könnt ihr euch zumindest damit trösten, dass ich euren Mörder finden und zur Strecke bringen werde. Ihn, sie oder es. Auch eurer Seele werde ich Ruhe verschaffen, falls euer Tod erst der Anfang ist.“
    Schweigen. Leere Blicke. Sie waren zu geschockt zum Sprechen.
    „Saul?“
    Er schälte sich aus den Schatten am anderen Ende des Zimmers und schritt zwischen ihren Tischen hindurch. Nicht wenige fuhren erschrocken zusammen. Zugegeben, es war eine gelungene Show. Er erreichte die Tafel: ein hochgewachsener Mann mit kastanienbrauner Haut, dessen Haare vor Silber glitzerten. Auf seinen hohen, schönen Wangenknochen prangten zwei rote Streifen, und unter seinem T-Shirt zeichneten sich stählerne Muskeln ab. Bewaffnet war er außerdem, und als er auf dem Absatz kehrtmachte, um die Klasse mit seinem ernsten Blick zu mustern, wichen viele in ihren Stühlen ein Stück zurück.
    „Saul hier ist ein Wer. Ihr habt nicht gemerkt, dass er überhaupt im Zimmer ist, nicht einmal, als er den Lichtschalter gedrückt hat. Und glaubt mir, wenn ich sage, dass er jeden Einzelnen von euch Hosenscheißern hätte töten können, um dann aus der Vordertür dieses Gebäudes zu spazieren, ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen.“ Ich trat zwei Schritte zur Seite. „Zeigs ihnen.“
    Saul blinzelte und legte los.
    Egal, wie oft ich es auch sehe, jedes Mal überläuft mich ein leichtes Schaudern, wenn er sich verwandelt. Der Geist ist vom Auge darauf trainiert, eine ganze Menge Vermutungen über die Dinge anzustellen. Und einen großen Mann, der aussieht wie der Schnulzenroman-Prototyp eines Indianers, dabei zu beobachten, wie er schmilzt und sich neu formt, aus dessen Haut Fell hervorbricht, dessen Augen zu bernsteinfarbenen Lichtern mit geschlitzten Pupillen werden, kann dir diese altbekannten Ansichten höllisch schnell austreiben. Es hilft auch nichts, dass mein blaues Auge ganz genau sehen kann, was er tut –
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