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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz
Autoren: Ulrike Bliefert
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ihre Hand und sah ihr geradezu beschwörend in die Augen. »Malin, was ist da passiert, hm? Niemand fällt von jetzt auf gleich einfach in Ohnmacht! Und du warst definitiv allein im Zimmer; geschubst haben kann dich also keiner. Das heißt – so bescheuert das klingen mag –, irgendwas muss dich im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen haben.«
    Denken erschien Malin in ihrem Zustand geradezu als Schwerstarbeit, aber sie gab sich redlich Mühe, die letzten Minuten vor ihrem Blackout zu rekonstruieren. »Ich weiß nicht … Ich … Ich kann mich nur noch an den Pfleger erinnern.«
    Â»Frank? Nee. Der war da längst weg. Hat mächtig eins auf die Mütze gekriegt, weil er dir nicht ordnungsgemäß alles gezeigt und dir beim Einzug geholfen hat.«
    Â»Ich weiß noch: Er hatte offenbar furchtbaren Hunger. Und ich hab gesagt, dass ich schon alleine zurechtkomme und dass er essen gehen kann. Und dann bin in das Zimmer rein und … «
    Â»Und?«
    Irgendwo, ganz weit hinten in Malins schmerzendem Schädel, regte sich so etwas wie eine Erinnerung. »Jemand … Irgendjemand hat etwas gesagt.«
    Â»Wer hat was gesagt? Und wo war der? Ich hab niemanden ins Haus gehen sehen.«
    Malin versuchte, über Anatols Frage nachzudenken, aber bereits das kurze Gespräch hatte sie so angestrengt, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als einfach wieder wegzudämmern.
    Â»Warum redest du plötzlich wie ein Wasserfall?«, fragte sie, bevor sie wieder einschlief. »Ich meine: So kenn ich dich ja gar nicht.«
    Â»Ich mich auch nicht«, antwortete Anatol trocken, und trotz der Schmerzen im Hinterkopf musste Malin grinsen.

Kapitel 5
    E s passierte während der Essensausteilung. Die Erinnerung stellte sich nicht, wie in Fernsehkrimis, langsam und zunächst nur bruchstückhaft ein und es gab auch keinen erkennbaren Anlass für die Bilder, die plötzlich vor Malins innerem Auge abliefen: zwei durch die Vorhangfalten verzerrte Schatten vor der Tür zum Garten, ein junger Mann und eine ältere Frau, die offenbar einen Aktenstapel in Händen hielt. Sie hatten über ein Mädchen geredet, das sie »die Kleine« nannten. »Die Kleine« wurde von allen ringsumher belogen: von den Ärzten, den Pflegern und von ihrer Familie. Und »die Kleine«, das war sie selbst!
    Schlagartig drang alles, was die beiden Schattengestalten gesagt hatten, zurück in ihr Bewusstsein.
    Meine Mutter ist nicht tot!
    Meine Mutter lebt … irgendwo!
    Und meine Mutter ist eine Mörderin!
    Die Küchenhilfe klappte das Esstischchen neben ihrem Krankenbett aus. »Chicken? Oder Veggie?«
    Der Geruch von Brathähnchen und Mischgemüse drehte Malin den Magen um. »Nein, danke, ich möchte nichts essen.«
    Â»Aber du musst, äh … Sie müssen…«
    Â»Ich muss gar nichts!«, fauchte Malin. Im gleichen Augenblick tat es ihr leid; die Küchenhilfe – kaum älter als sie selbst – konnte schließlich nichts dafür, dass bereits der Gedanke, auch nur einen Bissen zu sich zu nehmen, bei ihr Brechreiz hervorrief.
    Â»Sorry«, murmelte sie, »mir ist nicht gut.«
    Â»Soll ich Frau Dr. Reinhardt Bescheid sagen?«
    Â»Bloß nicht!«
    Der kann ich auch nicht mehr vertrauen! Von wegen »Franzi« und »du«! Die tanzt genauso nach der Pfeife vom Chef wie alle anderen!
    Auch wenn Malin klar war, dass dem Klinikpersonal gar nichts anderes übrig blieb, als den Anweisungen von Dr. Spengler zu folgen, hatte sie insgeheim gehofft, dass sich zwischen ihr und der jungen Ärztin nach all den Therapiegesprächen so etwas wie eine Vertrauensbasis gebildet hatte.
    Fehlanzeige. Die kann ich genauso abschreiben wie alle anderen hier. Bis auf Anatol.
    Blitzartig traf sie eine Entscheidung: »Nee, lass mal hier!«, sagte sie und griff nach dem Essenstablett. Es war ihr egal, was die Küchenhilfe von ihr dachte.
    Kaum war das Mädchen verschwunden, ließ sie die Hähnchenhälfte mitsamt Gemüse, Kartoffeln und Schokopudding-zum-Dessert in der Bettpfanne unten im Nachttisch verschwinden.
    Dann griff sie zu ihrem MP3-Player. Anatol hatte ihn geistesgegenwärtig in Sicherheit gebracht, bevor er in ihrem Zimmer den Notrufknopf gedrückt hatte. Als ob er geahnt hatte, dass er ein Geheimnis enthielt.
    Dakota? Bevor die merken, dass da unten ein Hähnchenteil vor sich hin gammelt, muss ich
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