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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz
Autoren: Ulrike Bliefert
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Geschwistern zu tun hatte, war wieder mal eine endlos lange Pause gefolgt. Schließlich hatte er »Nee. Gott sei Dank nicht« geantwortet und aus Anatols Tonfall und Gesichtsausdruck hatte Malin geschlossen, dass sie das Thema möglichst nicht vertiefen sollte.
    Ich steig bei ihm nicht durch, Dakota. Erst hab ich gedacht, er hat vielleicht ’ne leichte Form von Asperger, wie der Typ aus der Maltherapie. Der braucht immer ’ne Zeit, um zu kapieren, was andere Menschen denken oder fühlen. Aber bei Anatol ist es eigentlich genau umgekehrt: Manchmal hab ich den Eindruck, er weiß schon im Voraus, was ich sagen oder fragen werde. Es muss irgendwas in seiner Vergangenheit gegeben haben; irgendwas, das ihn in so ’ne Art Dauer-Traurigkeit versetzt hat. Keine Ahnung. Einfach fragen kann ich ihn auf keinen Fall, so viel steht schon mal fest. Bei Fragen macht er früher oder später total dicht.
    Dafür hab ich ihn mit meiner eigenen Geschichte zugetextet. Er sagt nichts dazu, aber ich hab das erste Mal das Gefühl, dass mir einer glaubt.
    Er meint, Franziska Reinhardt wäre voll okay und sie würde mich garantiert nicht absichtlich anlügen. Wahrscheinlich hat sie so komisch geantwortet, weil sie voll unterm Pantoffel von Dr. Spengler steht. Dem trau ich nicht übern Weg. Bei Anatol funktioniert seine Therapie jedenfalls nicht. Ich meine: Nach sechs Jahren müsste dem Typ doch langsam mal aufgehen, dass das, was er mit Anatol treibt, zu nichts führt, oder?
    Dakota?
    Gerade hast du »Stimmt. In Sachen Anatol ist der Spengler ’n Totalausfall!« gesagt.
    Manchmal denk ich mir deine Antworten aus, weißt du?
    Malin merkte, dass sie – genau wie ihre imaginäre Freundin Dakota – begonnen hatte zu lächeln.
    Ich hab jedenfalls einen Pakt mit ihm geschlossen. Nein, nicht mit dem Spengler! Mit Anatol, mein ich! Mit Ehrenwort und allem drum und dran: In den nächsten vierzehn Tagen kein Selbstmordversuch mehr! Und danach sehen wir weiter.
    Sie zögerte, bevor sie das Gerät abschaltete.
    Ich mag seine Augen. Braun. Dabei sind die meisten Rothaarigen blauäugig.
    Und er hat schöne Hände.
    Gute Nacht, Dakota.
    Â»Tja, Malin, erfreulicherweise sind wir in der letzten Woche einen gewaltigen Schritt weitergekommen. Das heißt, Sie können sich ab jetzt frei im Haus und auf dem gesamten Gelände bewegen!« Dr. Spengler strahlte Malin an, als verleihe er ihr damit eine Mischung aus Weihnachtsgeschenk und Siegestrophäe.
    Der sieht aus wie der Typ in den Werbespots, die früher im Fernsehen liefen. In denen ’n Zahnarzt mit ’ner Zahnbürste Tomaten quält …
    Malin musste grinsen. Zum einen in der Erinnerung an die bescheuerten Werbespots, zum anderen, weil Dr. Spengler allen Ernstes glaubte, sie würde brav jeden Tag ihre Psycho-Smarties einnehmen. Dabei hatte sie mittlerweile gelernt, die Dinger unter die Zunge zu klemmen und gar nicht erst runterzuschlucken.
    Aber was soll’s? Der glaubt so oder so, ich wär verrückt.
    Dr. Spengler interpretierte ihr Grinsen als Vorfreude auf die künftig unbeaufsichtigten Aufenthalte auf dem Klinikgelände. »Wir verlegen Sie in Trakt B. Da haben Sie eine eigene kleine Terrasse mit direktem Zugang zum Garten.« Er strahlte unvermindert weiter und zwinkerte verschwörerisch mit dem linken Auge. »Da sitzen Sie doch so gerne, stimmt’s?« »Ja. Stimmt. Toll. Danke.«
    Na super. Das heißt im Klartext: »… und nicht vergessen: Wir beobachten trotzdem auf Schritt und Tritt, was du tust.«
    Immer noch strahlend stand Dr. Spengler auf und legte Malin väterlich die Hand auf die Schulter. »Also, dann packen Sie schon mal Ihre Siebensachen, ja? Das Gebäude kennen Sie ja und Pfleger Frank zeigt Ihnen dann, wo Ihr Zimmer ist.«
    Pfleger Frank war ein dünnlippiger, wenig sympathischer junger Mann, der zur Begrüßung lediglich ein deutlich hörbares Magenknurren von sich gab und anschließend bedeutungsvoll auf seine Armbanduhr schaute.
    Ganz klar: Der Typ will in die Mittagspause!
    Â»Ich beeil mich!«, versicherte Malin. Sie raffte den Inhalt ihres Kleiderspinds zusammen, warf ihn in den Koffertrolley und zurrte den Reißverschluss zu. Dann angelte sie nach ihrer Schultertasche und spurtete Pfleger Frank hinterher.
    Der Weg zu Trakt B führte sie quer durch den Klinikpark. Der junge Pfleger marschierte voran, ohne sich auch nur
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