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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund
Autoren: Elisabeth Herrmann
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eins.
    »Später«, flüsterte Nico ihr zu, bevor sie auf die andere Seite des Netzes zu ihrer Gruppe ging. »Komm heute Nachmittag zu mir.«
    Der Rest des Schultags flog irgendwie an Nico vorbei. Valeries Begeisterung schien alles so einfach zu machen. Sie waren oft an den Wochenenden zusammen. Keiner würde Verdacht schöpfen. Trotzdem war Nico bei dem Gedanken unwohl, ihre Eltern so zu hintergehen. Und wenn schon, dachte sie trotzig. Valerie hat recht. Es gibt keinen Grund, sich das Haus nicht wenigstens mal anzusehen.
    Kurz nach vier stand Valerie vor der Tür und die beiden Freundinnen verzogen sich schneller als sonst in Nicos Zimmer. Sie hatten es sich gerade auf dem Bett gemütlich gemacht hatten, als es klopfte. Die Tür öffnete sich und Stefanie steckte den Kopf durch den Spalt.
    »Hier. Frisch gewaschen.«
    Sie hielt ihrer Tochter einen Stapel Pyjamas entgegen. Nico sprang auf.
    »Hallo, Valerie! Wie geht’s?«, fragte Stefanie.
    »Gut«, murmelte Valerie. Zu ihren Füßen stand eine Reisetasche.
    Nicos Mutter betrat den Raum. »So viel für ein Wochenende?« Misstrauisch musterte sie den dicken Winterpulli und die zweite Jeans, die Nico wüst zerknäult in die Tasche gestopft hatte.
    »Wir gehen morgen ins Hallenbad. Und am Sonntag fahren wir vielleicht an den Baggersee, Schlittschuhlaufen.« Nico warf Valerie einen scharfen Blick zu, den ihre Mutter hoffentlich nicht mitbekam.
    »Ja, Schlittschuhlaufen.« Ihre Freundin nickte eifrig. »Ich will mal wieder was für meine Silhouette tun.«
    »Ich dachte, ihr wolltet für die Klausuren lernen.«
    »Das tun wir auch.« Nico nahm die Pyjamas und warf einen von ihnen gleich zu ihren Reisesachen dazu. »Aber zwischendurch muss man mal den Kopf freikriegen.«
    Sie wich dem Blick ihrer Mutter aus. Es fiel ihr so verdammt schwer, sie zu belügen. Nico wusste nicht, wann sie das zum letzten Mal getan hatte. Schwindeln, ja, das kam öfter vor. Bus ausgefallen, wenn man zu spät nach Hause kam. Keine Zeit gehabt, wenn die Wäsche immer noch nicht aufgehängt war. Schwindeln war kinderleicht und nichts, was die Welt ins Wanken brachte. Aber lügen, bewusst anlügen, war eine andere Nummer.
    »Dann denk aber auch an deinen Badeanzug.« Stefanie deutete auf das bewusste Teil unten im Schrank. Nico nahm es und packte es zu den anderen Sachen in die Reisetasche.
    Ich kann alles noch abblasen, dachte sie, während sie den Stapel Pyjamas wegräumte. Ihre Mutter war schon wieder an der Tür. Täuschte Nico sich oder streifte Stefanie wirklich den Besen in der Ecke neben dem Bett mit einem kurzen kontrollierenden Blick?
    »Ich wünsche euch viel Spaß.« Stefanie lächelte. Aber Nico kam es so vor, als ob auch an diesem Lächeln etwas nicht stimmen würde. »Pass auf dich auf.«
    »Mach ich.«
    Ihre Mutter wartete noch einen winzigen Moment. Vielleicht auf einen Satz oder eine Geste, die den Hauch von Befangenheit, der in der Luft lag, aufgelöst hätten. Als beides nicht kam, schloss sie die Tür.
    »Ich kann das nicht.« Nico ging zurück zum Bett und ließ sich neben Valerie fallen. Valerie legte den Arm um sie und zog sie kurz an sich. Das tröstete. Aber es machte die Lüge nicht ungeschehen.
    »Dann bleibst du eben hier. Mir ist es egal, wie du dich entscheidest. Aber du musst hinterher damit leben können. Ich will nicht jahrelang dein Geheule hören, weil du diese Chance verpasst hast.«
    »Werd ich nicht.«
    »So?« Valerie ging auf eine Armlänge Abstand. »Da bist du dir ganz sicher? Du fügst dich, vergisst alles, und dieses Ding da …« Mit einem Nicken wies sie auf den zerfransten Besen, »…schmeißt du noch heute in den Müll?«
    »Bestimmt nicht. Es ist das Einzige, das mich an Tante Kiana erinnert. Na ja, fast das Einzige.«
    Valerie ließ sie los. Nico streckte sich und nahm den Besen in die Hand. Er verlor schon wieder ein paar Halme Stroh.
    »Komisch. Jedes Mal, wenn ich ihn anfasse, habe ich das Gefühl, er will mir was sagen.«
    Valerie grinste, legte den Kopf schief und hielt sich eine Hand ans Ohr.
    »Ich höre nichts. Halt! … Ja, jetzt. Leise! Schschsch … Du faule Socke , ich hör’s genau! Du faule, feige Socke … «
    Nico hob den Besen, Valerie quietschte auf und wehrte den Schlag mit beiden Händen ab. Stroh, Staub und Dreck rieselten auf den Bettüberwurf. Ein paar kurze Halme blieben in Valeries hellbraunem Pagenkopf hängen.
    »Mensch, Nico.« Sie lachte und fieselte sich das Stroh aus den Haaren. »Du bist erwachsen. Du kannst selbst
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