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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund
Autoren: Elisabeth Herrmann
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und strahlte, als sie sogar ihre Kniestrümpfe gebügelt im Schrank vorfand. »Aber es ändert nichts an unserem Entschluss.«
    Die Einzige, die für Nicos Lage Verständnis zu haben schien, war Valerie. »Echt weird «, kommentierte sie den Zustand im Hause Wagner.
    Valerie schloss die Tür ihres Spindes, die Turnschuhe in der Hand. Sportunterricht mochte sie genauso gerne wie Kakteen küssen. »Und sie lassen immer noch nicht mit sich reden?«
    »Ich hab alles versucht.« Nico streifte sich ein Tanktop über. »Das sind die längsten sechs Wochen meines Lebens. Jeder Tag ist ein verlorener Tag.«
    Valerie war über die Frist und deren gnadenlosen Ablauf bestens informiert. »Ein Tritt in den Hintern vom Schicksal persönlich. Hast du mal auf deiner Geburtsurkunde nachgesehen, ob da kein Fehler passiert ist?«
    »Haha.«
    Nico stopfte ihre Sporttasche in den Spind und schlug die Tür zu. Es war Freitag. Das erste Adventswochenende stand an. Damit brachen die letzten Tage an, bevor endgültig Schluss war mit dem kurzen Traum vom eigenen Haus, mochte es noch so wurmstichig und zerfallen sein. Gemeinsam drängten sie sich an ihren Klassenkameraden vorbei in die Sporthalle. An die blöden Sprüche, wenn die beiden ungleichen Freundinnen auftauchten – Gurke und Kürbis waren noch die nettesten Kommentare –, hatten sie sich längst gewöhnt. Ab und zu gab Valerie charmante Antworten. »Lieber Kürbis als Mixed Pickels, meine Schöne. Autsch, der da auf deiner Stirn sieht ja echt aus, als stünde er kurz vorm Platzen!«
    Mit Valerie hatte Nico gelernt, über Spott zu lachen. Seit sie das konnte, ging alles viel einfacher. Und je mehr sie zusammen lachten, desto seltener wurden auch die Verbalattacken. In diesem Schuljahr hatten sie sogar fast ganz aufgehört.
    »Und wenn du sie vor vollendete Tatsachen stellst?«, fragte Valerie.
    »Wie meinst du das?«
    »Einfach hinfahren. Wenn es wirklich ein blöder Scherz war mit diesen drei Rätseln und die Hütte auseinanderfällt, hast du dich wenigstens selbst davon überzeugt.«
    Nico blieb stehen. »Das erlauben sie mir erst recht nicht. Völlig ausgeschlossen.«
    Valerie schenkte dem Baseballnetz in der Mitte der Halle einen resignierten Blick. Mannschaftsspiele waren ihr Waterloo.
    »Liebelein, weißt du eigentlich, was dich und mich unterscheidet?«
    Nicos Blick blieb, ohne dass sie es wollte, an Valeries ausladenden Hüften hängen.
    »Äh … nein?«
    Valerie grinste. Sie sah aus wie ein gütig lächelnder Mond, aber in ihren Augen blitzte der Schalk. »Äußerlich trennen uns nur zwanzig unwesentliche Kilos. Aber innerlich sind es Welten. Ich würde mir eine Woche vor meinem Achtzehnten nicht mehr sagen lassen, was ich zu tun und zu lassen habe.«
    Ein schriller Pfiff zerriss die Unterhaltung. Henne, der Sportlehrer, ein drahtiger kleiner Mann, lief zum Netz und verharrte dort, tänzelnd wie ein Boxer. Der Geräuschpegel sank ein wenig, alle trotteten auf ihn zu. Nur Valerie blieb stehen, nahm Nicos Arm und hielt sie zurück.
    »Ich hab’s dir schon hundertmal gesagt: Pack deine Sachen und fahr los.«
    »Und ich hab dir hundertmal geantwortet: Das geht nicht! Die kriegen das doch sofort mit.«
    »Nicht, wenn du angeblich das Wochenende bei mir bleibst. Ich halte dir den Rücken frei. Bis Montagabend. Das sind drei Tage, Schätzchen.«
    Wieder ein Pfiff. Die letzten Nachzügler gesellten sich zu Henne, der gerade die Mannschaften einteilte. In Nicos Kopf überschlugen sich die Gedanken. Mit etwas Glück könnte sie schon am Nachmittag im Harz sein und die erste Aufgabe lösen – irgendetwas fegen. Die Einfahrt. Treppen, den Bürgersteig. Ein Foto mit dem Handy müsste als Beweis genügen. Samstag könnte sie den Stein zurückbringen – wohin auch immer. Wahrscheinlich reichte es, wenn sie ihn in den Straßengraben warf. Nur die halbe Postkarte dürfte schwierig werden. Aber die Leute dort würden bestimmt wissen, was es mit den romantischen Meisterwerken des Harzes so auf sich hatte.
    »Und wie komme ich da hin? Ich hab doch gar keine Peilung, wo dieses Siebenlehen eigentlich liegt.«
    Valerie verdrehte die Augen. »Es soll so etwas wie Fahrplan-Apps geben.«
    »Und es soll sogar Handys geben, die sie auch kriegen«, knirschte Nico.
    Noch ein Pfiff. Laut, schrill und lang.
»Die beiden Damen?«, rief Henne. »Wenn Sie sich eventuell zu uns bemühen könnten?«
    Valerie, die Beth Ditto der Abiturientenklasse, tänzelte als Letzte zu Mannschaft Nummer
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