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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund
Autoren: Elisabeth Herrmann
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sinken und sah Nico zum ersten Mal, seit sie in Begleitung ihrer Eltern den holzgetäfelten Raum im ersten Stock eines noblen Altbaus betreten hatte, genau an. Er wollte sehen, wie sie reagieren würde. Auf einen Besen, eine halbe Postkarte, einen Stein.
    »Das ist ein Scherz«, entfuhr es Nico.
    Sie spürte, wie ihr Gesicht brannte. Vielleicht war es die Enttäuschung, vielleicht auch die Wärme in diesem überheizten Raum. Sie hatten keinen Parkplatz gefunden und das Auto schließlich weit entfernt abstellen müssen. Um sich nicht zu verspäten, waren sie die ganze Strecke fast gerannt.
    Aber Nico hatte weder den Regen noch die Kälte gespürt. Sie war so aufgeregt gewesen, so erfüllt von Vorfreude. Eine Erbschaft! So etwas kam doch sonst nur in viktorianischen Familienromanen vor. Und dann auch noch von einer Verwandten, von der man seit Jahren nichts gehört und gesehen hatte. Kein Fake, kein Witz. Und trotzdem hatte sie erst daran geglaubt, als sie das Messingschild am Eingang des Hauses gelesen und noch immer außer Atem das Büro betreten hatte. Die Dame am Empfang hatte sie freundlich angelächelt und ihr und ihren Eltern Kaffee angeboten, der in hauchdünnen weißen Porzellantassen serviert wurde – mit Keksen aus der Confiserie. Da hatte sie noch gedacht, im Vorzimmer eines neuen Lebens zu sitzen. Hatte nur geflüstert, auf die alten Ölbilder an den Wänden gestarrt und versucht, die Titel der Bücher in einem wuchtigen Bibliotheksregal zu entziffern. Mit den Füßen gescharrt. Auf ihre Armbanduhr gesehen. Nicht verstanden, warum ihre Eltern keine Miene verzogen und so aussahen, als wären sie beim Zahnarzt und hätten eine komplizierte Wurzelbehandlung vor sich.
    Und dann das. Eine abgefahrene Nummer, das musste man Tante Kiana schon lassen.
    »Das ist doch ein Scherz«, wiederholte Nico vorsichtig. »Oder?«
    Der Notar hieß Gustav von Zanner und machte ein Gesicht, als ob Humor in seinem Leben keine große Rolle spielen würde. Wahrscheinlich hatte er schon jede Menge enttäuschte Erben erlebt, die unruhig auf den Ledersesseln vor ihm hin- und hergerutscht waren. Nico hatte für diesen Termin auf Jeans und Pullover verzichtet. Sie trug stattdessen eine schwarze Hose, die durch den weißen Rolli und den etwas zu engen, nicht mehr ganz neuen Blazer auch nicht besser wurde. Ihre langen dunkelbraunen Haare hatte sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Sie trug sie sonst meistens offen, denn ihre Mähne musste kaum je geschnitten werden – wieder Geld gespart. Sie hatte nur einen Hauch von Lipgloss aufgelegt. Er zauberte ein wenig Frische in ihr blasses, rundes Gesicht. Präraffaelitisch, nannte ihr Vater das. Sie und Stefanie, ihre Mutter, würden ihn an Gemälde aus der Renaissance erinnern. Unschuldig, aber dann hatten sie es faustdick hinter den Ohren. Davon war im Moment allerdings wenig zu merken. Ihre Mutter schien genauso geplättet wie sie. Nico sah sich vorsichtig um und rechnete im Stillen damit, dass jeden Moment ein Team der versteckten Kamera in das Büro stürmen würde.
    Der Testamentsvollstrecker räusperte sich. »Nein.«
    »Das ist alles?«
    »Nehmen Sie das Erbe an?«
    Von Zanner tat so, als wäre es ihm egal, ob er Immobilien in Schweizer Nobelskiorten oder die übrig gebliebenen Reste einer Dachbodenentrümpelung beurkundete. Wahrscheinlich war es ihm das auch. Mitgefühl für eine Siebzehnjährige, die gottweißwas erwartet und erst auf dem Weg in die Kanzlei erfahren hatte, worum es wirklich ging, kannte er wohl nicht.
    »Tante Kiana hat mir ihren Sperrmüll vermacht?« Sie wandte sich an ihre Mutter und die Enttäuschung in ihrer Stimme war abgrundtief. »Das glaube ich nicht.«
    »Liebes, sie war schon immer so …« Nicos Mutter holte tief Luft, um dann zu schweigen. Das war ihre Art zu reden, wenn sie erwartete, dass man sich den Rest denken konnte.
    »… spinnert«, vollendete Nicos Vater erwartungsgemäß den Satz. Er holte sein Smartphone aus der Tasche, checkte mit einem kurzen Blick, dass niemand angerufen hatte, und schob es zurück in seine Anzugtasche. Das tat er mit genau der Hast, die allen zeigen sollte, dass er diesen Termin mittlerweile für ein Kasperletheater hielt. Er hatte sich extra den Vormittag freigenommen, und Nico wusste, dass er im Anschluss in sein Reisebüro zurück musste. »Sag es ruhig, Stefanie. Ich fand immer, sie kam sehr nach deiner Mutter. Wir hätten gar nicht kommen sollen. Ich habe keine Zeit für solche Scherze.«
    Nicos Mutter griff
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