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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund
Autoren: Elisabeth Herrmann
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entscheiden.«
    Nico ließ mutlos den Besen sinken.
    »Zeig mir noch mal den anderen Kram.«
    Nico zog die Nachttischschublade auf, holte den Stein und die halbe Postkarte heraus und reichte beides an Valerie weiter.
    »Ich hab es gedreht und gewendet. Nichts. Keine Geheimschrift, keine Runen. Wenn es wenigstens eine ganze Postkarte gewesen wäre. Aber noch nicht mal dazu hat es gereicht.«
    Ihre Freundin betrachtete das Foto mit gerunzelter Stirn. »War sie wirklich irre, deine Tante?«
    »Ich weiß es nicht. Eher so was wie das schwarze Schaf. Meine Oma hatte sechs Geschwister. Die meisten sind vor dem Mauerbau in den Westen gegangen. Nur Kiana nicht. Sie wollte Schattengrund nicht alleine lassen.«
    »Dann kommst du eigentlich aus dem Harz?«
    »Meine Großmutter. Nicht ich. Nach der Wende hat Oma wohl versucht, die Familie wieder zusammenzukriegen. Aber es hat nicht richtig geklappt. Kiana wollte wohl nicht. Als kleines Kind war ich ein paar Mal in den Ferien bei ihr. Und dann nie mehr. Ich habe gar nicht gewusst, dass sie noch so lange gelebt hat. Sie war irgendwie verschwunden aus unserem Leben. Total verschwunden.«
    Nico starrte auf den Besen in ihren Händen. Konnte man um einen Menschen trauern, den man kaum gekannt hatte? Das, was sie fühlte, kam der Trauer jedenfalls verdammt nahe. Aus diesem Grund hatte sie ihrer Freundin auch verschwiegen, dass wohl vor langer Zeit irgendetwas vorgefallen sein musste, das ihre Familie mit Kiana entzweit hatte. Es wäre ihr wie ein Verrat von Familiengeheimnissen vorgekommen. Auch wenn sie keinen blassen Schimmer hatte, um was es bei den geflüsterten Andeutungen ihrer Eltern eigentlich gegangen war.
    »Ich glaube, meine Mutter und ich waren die Einzigen, die Kiana besucht haben. Das ist schon so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann.«
    »Und aus diesem Grund hat sie ausgerechnet dir das Haus vermacht?«
    Nico seufzte. »Ich weiß es nicht. Warum nicht meiner Mutter? Warum nicht irgendwelchen anderen Verwandten?«
    »An wen fällt denn das Haus, wenn du es nicht nimmst?«
    »Vielleicht an den Tierschutzverein.« Nico stand auf und stellte den Besen wieder zurück. »Ich werde es wohl nie erfahren.«
    Valerie legte den Rest des großartigen Erbes in die Schublade zurück.
    »Mein Angebot steht. Wir nehmen jetzt deine Tasche, verlassen das Haus, fahren zum Bahnhof und lösen eine Fahrkarte nach Siebenlehen. Und während du deine merkwürdigen Rätsel löst, halte ich dir hier den Rücken frei. Und Montag konfrontierst du deine Eltern damit, dass das Haus dir gehört. Sie müssen nur noch nicken.«
    Nicos Gesicht leuchtete auf. »Komm mit! Zu zweit schaffen wir das locker.«
    »Das geht nicht. Jemand muss bei meiner Mom Tag und Nacht neben dem Telefon sitzen, um die viertelstündlichen Kontrollanrufe deiner Eltern entgegenzunehmen.«
    »Wo ist sie?«
    »Frühschicht.«
    Valeries Mutter hatte nach Jahren der Arbeitslosigkeit einen Job im Warenlager eines Discounters bekommen. Harte Arbeit, frühes Aufstehen, wenig Fragen.
    »Wenn du jetzt fährst, bist du heute Abend noch im Harz. Drei Tage. Nico, mehr brauchst du nicht. Einen für jede Aufgabe. Und wenn sich herausstellt, dass das Ding eine Bruchbude ist und deine Tante einen an der Waffel hatte, umso besser. Dann bist du wieder da, keiner hat was gemerkt, und du kannst weiter brave Tochter spielen. Deine Eltern werden dich lieben.«
    »Und wie krieg ich den hier raus, ohne dass sie was merken?« Sie wies auf den Besen.
    Valerie wuchtete sich hoch und nahm ihren Daunenmantel von Nicos Schreibtischstuhl. Er war lang und ehrlich gesagt auch breit genug, um Teil eins von Kianas seltsamem Erbe zu verbergen. »Lass mich mal machen.«
    Sie wühlte in den Jackentaschen nach ihrem Handy. Als sie es endlich gefunden hatte, tippte sie darauf herum und hielt das Ergebnis Nico unter die Nase. »Magdeburg, Halberstadt, Blankenburg, Altenbrunn. Deine Reiseroute. Bei Bedarf fährt der Bus weiter nach Siebenlehen. Musst du aber vorher sagen, sonst lässt er das Kaff links liegen.«
    Misstrauisch beäugte Nico die ellenlange Fahrplanauskunft auf dem Display.
    »Sechs Stunden Fahrtzeit?«
    Valerie wischte auf dem Display herum, bis sie gefunden hatte, was sie suchte.
    »Siebenlehen. Erstmals als Hüttenort erwähnt 1520 zur Zeit des großen Berggeschreys. – Das ist so eine Art Goldrausch, nur dass es dabei um Silbererz ging. – Der Name geht zurück auf insgesamt sieben Höfe, die einstens Markgraf Eckhardt gehörten
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