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Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Titel: Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
Autoren: Antje Wagner
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Menschenleben zu retten. Sie war keine Heldin, aber das Bild des blutenden Mädchens ließ sie nicht mehr los. Nachdem sie ihr Spray genommen und ihr Herz sich beruhigt hatte, überlegte sie mit mehr Besonnenheit.
    Wer wollte in der nächsten Zeit nach Kairo fahren? Es musste jemand sein, der unauffällig genug war, um diese Aufgabe zu übernehmen. Und karitativ genug.
    Erst am Abend fiel es ihr ein. Sie suchte die Telefonnummer einer Studentin heraus, die dringend Ägyptisch lernen wollte, bevor sie nach Kairo fuhr. Anastasia hatte überlegt, ob sie nicht doch mit dem Unterrichten anfangen sollte, jetzt, wo sie auch ihre letzten Aufträge beim Radio verloren hatte. Dann hatte sie die Idee wieder verworfen, aber den kleinen Zettel, den sie vom schwarzen Brett im Café Goldmund abgerissen hatte, behalten.
    Es meldete sich eine Frau namens Sal, und sie verabredeten sich für den nächsten Tag. Doch das Gespräch verlief anders, als Anastasia es sich vorgestellt hatte. Statt ihr zu helfen, reagierte Sal geradezu hysterisch auf Anastasias Erscheinen und auf ihre Bitte, in Kairo nach dem Mädchen zu suchen, bevor ein Unglück geschähe.
    Anastasia war irritiert. Sah sie so heruntergekommen aus? Machte sie der Studentin Angst?
    „Sie sind eine Betrügerin, verschwinden Sie oder ich hole die Polizei!“, schrie Sal.
    So schnell sie geglaubt hatte, eine Lösung gefunden zu haben, so schnell fand sie sich wieder auf der Straße. Allerdings schlauer als zuvor.
    Niemand würde die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, von dort hinunterstoßen, geschweige denn sich selbst aufbürden.
    Sie, Anastasia, musste nach Kairo zu fliegen, ob sie wollte oder nicht.
    Die Warnungen ihres Arztes, nicht zu fliegen, hallten ihr im Ohr, als sie zum Friseur ging und sich gegen ihren eigenen Geschmack die Haare blond färben ließ. Dann kaufte sie neue Kleider. Sie beschloss, von nun an eine Jeans zu tragen, in die sie einen braunen Rollkragenpulli stopfte. Auch der Schmuck sollte dezent sein, genau wie bei ihrer deutschen Nachbarin. Kleine hässliche Goldringe im Ohr und eine Kunstperlenkette über dem Pulli.
    Nur die hauchdünnen Goldreifen am Arm konnte sie nicht lassen.
    Üblicherweise wohnte sie bei ihrer Schwester in Mohandissin und konnte daher problemlos über die Brücke des 26. Juli nach Zamalek laufen. Dort mietete sie sich diesmal für eine Woche in ein Hotel ein. Weder ihrer Schwester noch sonst jemandem hatte sie von ihrem Besuch erzählt. Das, was sie zu tun hatte, musste geheim bleiben. Sie nahm ein Taxi und fuhr zu einem Teehaus, in dem hauptsächlich Touristen verkehrten.
    Um Kulsum sang dort aus den Boxen von den Wassern des Nils, den die Kairoer ihr Meer nennen. Anastasia trank einen Milchkaffee und blätterte in der Tageszeitung. Gerade wollte sie sie weglegen, als ihr Blick auf die Überschrift eines kleinen Artikels fiel.
    Mädchen auf offener Straße verblutet. Arzt gesucht.
    Anastasia wusste sofort, dass es das Mädchen war. Und das Schlimmste: Sie es hätte verhindern können.
    Das, was sie jetzt noch tun konnte, war jämmerlich. Sie musste für Gerechtigkeit sorgen. Sie musste die Wahrheit, die in ihrem Inneren hauste, ans Licht bringen. Musste Walids Nummer herausbekommen und ihn zur Rede stellen.
    Davon würde das Mädchen allerdings nicht mehr lebendig werden.
    Walid zog mit zwei Fingern seine Haare nach hinten, als Anastasia ihm den Zeitungsausschnitt unter die Nase hielt.
    Was zum Teufel wollte sie hier?
    „Das warst du!“, sagte sie.
    „Was war ich?“
    Zuerst hatte er sie überhaupt nicht erkannt. Die Haare hatte sie blond gefärbt, die Augen waren gespenstisch eingefallen und die Falten waren mit Make-up gefüllt wie mit Kitt. Wann hatte er sie zuletzt gesehen? Sie und ihre letzten Feuer? War ihm denn da gar nicht aufgefallen, wie alt sie aussah? Jetzt umgab sie ein Hauch von Asche. An ihren Armen klimperten dünne Goldreifen, die alles, was sie sagte, dramatisch unterstrichen.
    Sie hustete und begann in ihrer Handtasche nach etwas zu suchen. Dann zog sie ein rotes Spray hervor. Nitrospray , registrierte Walid.
    Es schien schlecht um sie zu stehen.
    „Das Mädchen: Du hast sie verstümmelt und getötet.“
    Sie saßen in ihrem Hotelzimmer um einen klapprigen Tisch herum und tranken Kaffee. Walid ließ bei dem Wort „verstümmelt“ die Tasse auf den Teller fallen. Seine Kinnlade fiel herunter.
    „Bist du verrückt geworden? Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
    „Du bist ein Mörder. Das
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