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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten
Autoren: Hauke Rouven
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lockten die Helferinnen an. Für sie fand Phil auch passende Operationsutensilien.
    Als der menschliche Körper mit seinem neuen Innenleben die Arztpraxis verließ, tropfte das Blut von allen Wänden. Der Boden war so rutschig, dass man ein Schild in den Raum hängen musste: Frisch geblutet.
    „Wie lange warten wir denn jetzt schon?“
    Max sah angestrengt in die Runde. Jetzt gingen diese drei ihm auf den Sack. Er verspürte den unheimlichen Drang, sie auf der Stelle zu erschießen.
    „Max. Hörst du mich?“
    Er verdrehte die Augen.
    „Natürlich höre ich dich.“
    „Was ist denn los?“
    „Bist du wirklich sicher, dass...“
    Katja, die ihm schon längere Zeit betrachtet hatte, wendete nun schnell ihren Blick ab und heftete ihn an die Wand.
    „Nein“, sagte sie schüchtern.
    Aus und vorbei mit der gruftigen Maskerade. Kein wahres Bild, nur eine verschwommene Projektion spätpubertierender Mittzwanziger. Max wollte gehen, hielt sich aber zurück, denn wenn er eins gelernt hatte, dann, den Kreis nie zu verlassen, wenn eine Beschwörung gesprochen worden war. Zuerst mussten die fremden Energien zurück in ihre Dimension verbannt werden.
    „Willst du mich verarschen?“
    „Ich war mir so sicher“, verteidigte sich das kleine Mädchen mit den roten Haaren in schwarzer Kleidung.
    „Hör mal! Ich habe nicht ewig Zeit. Was soll der ganze Zirkus hier? Habt ihr überhaupt schon mal einen Dämon beschwört? Und ich meine nicht irgendwelche Schatten im Spiegel oder so was. Verdammt nochmal, wir dürfen die Hände nicht loslassen, ehe wir eine Bannformel gesprochen haben und ich will hier weg.“
    Und weiter dachte er: Und je mehr ich mich aufrege, desto konzentrierter wird die negative Energie. Das kann uns allen das Leben kosten.
    „Ja, wir haben schon einen Dämon beschwört. Sogar mehrere.“
    Richard und Amanda nickten eifrig, was umso mehr auffiel, weil sie ständig vollkommen apathisch wirkten.
    „Na gut. Warten wir noch ein Weilchen. Wenn nichts geschieht, bin ich weg.“
    Nur die Nerven bewahren, dachte Max und im nächsten Augenblick klingelte ein Handy mit der unverkennbaren Titelmelodie des Films „Halloween“.

    Die Stadt war voll, jede Zone quoll über von den Massen der Menschen, die ihre Besorgungen tätigen mussten. Mussten, weil Weihnachten vor der Tür stand. Viele glaubten, Unmengen von Lebensmitteln einkaufen zu müssen, obwohl die Läden nur drei Tage geschlossen blieben. Hektisch stießen sich unbekannte Visagen aneinander, rieben sich steife Schwänze, in Hosen verborgen, an den Mänteln schöner Frauen. In der Enge lebten die Körper, sie sprachen miteinander ohne dass es verstanden wurde. Brote und Geschenke flogen durch die Lüfte, der Wind spielte mit Haaren und Taschen. Weihnachtsmarktschreier warben für unnütze Fressalien oder Schmuck. Man sah Weihnachtsmänner und hörte Weihnachtsmusik, man sah rote Mützen und große Säcke. Grölende Kinder und widerspenstige Verkäufer. Das Leben war ein Ameisenhaufen.
    Phil, der Soldat des Wyxnax, schritt frohen Mutes voran. Sein Bauch blähte sich, die Haare wuchsen und wurden weiß. Bald zierte ein rotes Kostüm seine Gestalt und der wahre Weihnachtsmann ward wieder geboren.
    Schon liefen die ersten Kinder auf ihn zu.
    „Hast du Geschenke für uns?“
    „Nein“, grummelte er.
    „Der im Laden da hatte welche. Sieh mal, so viele Lutscher hat er uns gegeben.“
    „Interessiert mich einen Scheiß...“, und stieß sie beiseite. Zuerst galt es, dieser Musik den Garaus zu machen. Sie dröhnte in seinen Ohren nach Fröhlichkeit und Anerkennung.
    Ein Geiger und ein Bassist waren seine ersten Opfer. Vereinzelt wurden Passanten auf die herumfliegenden Gedärme und Körperteile aufmerksam. Metzelnd führte er seinen Weg fort. Das rote Kostüm schützte ihn vor der Entdeckung, nur der Bart wirkte orange. Wenn es bei der Polizei hieß, dass ein Weihnachtsmann die Menschen ermordet hatte, fragten die Polizisten: „Welcher?“
    Das war ein Spaß. Und Phil/Wyxnax wollte gerade in einer Seitengasse die Standbesitzer um ihre Seelen erleichtern, als ein Blick in das Schaufenster eines Handwerkladens sein kaltes Herz höher schlagen ließ.

    Das Klingeln wollte nicht verstummen.
    „Kann ich ran gehen?“
    „Verdammt, nein.“
    „Ach, komm schon. Wir können es nachher nochmal versuchen.“
    Max murmelte eine Bannformel vor sich hin und ließ die Hände los. Katja kramte in ihrer Hosentasche, das Klingeln wurde lauter, dann hob sie ab.
    „Hallo...
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