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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte
Autoren: Megan MacFadden
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sich selbst und wagte es dann, den ganzen Fuß in den Teich zu senken. Puh – war das kalt, zugleich aber auch wundervoll erfrischend. Sie zog das Gewand höher hinauf, raffte auch das lange weiße Hemd, das sie darunter trug, und stieg mutig in den Tümpel hinein, dessen Grund aus hartem Fels bestand. Zuerst schien ihr, als wolle ihr Herz stillstehen, dann aber stieg wohlig pulsierende Wärme auf, und sie planschte im Wasser. In der Mitte des Beckens gingen die glasklaren Fluten ihr bis zu den Oberschenkeln, und sie musste Kleid und Hemd weit emporheben, damit sie nicht völlig durchnässt wurden. Schließlich entschloss sie sich, wenigstens das blaue Kleid abzulegen, sie watete ans Ufer, löste die Schnüre im Rücken und ließ den schweren Stoff zu Boden gleiten. Es war angenehm, nur mit dem langen, ärmellosen Hemd bekleidet im Wasser umherzugehen. Jetzt war es ihr gleich, dass das gute Stück nass wurde, sie spritzte ihrer Stute einen Schwall Wassers entgegen, so dass Niam schnaubte und die funkelnden Tröpfchen aus der Mähne schüttelte, dann hielt Alina sich die Nase zu und tauchte bis über den Kopf in die Fluten hinein.
    Etwas Seltsames geschah da mit ihr. Sie öffnete die Augen im Wasser und erblickte wehende Pflanzen von dunkelgrüner und rostroter Farbe, auch ein weißes Gebäude, groß und schön wie eine Burg, mit Zinnen und Türmen geschmückt. Eine Schar Reiter zog an ihr vorüber, durchsichtig wie Nebelgestalten, grün und silbern schimmerten ihre Gewänder und in ihrem langen Haar trugen sie das sanfte Licht des Mondes.
    Rankende Zweige
    Zärtlicher Hain
    Rauschende Weide
    Blühender Stein.
    Weiße Paläste
    Liebend erbaut
    Zaubrische Gäste
    Hold und vertraut.
    Sturm ist gekommen
    Hat sie verweht
    Glück ist zerronnen
    Treue vergeht.
    Nur in der Welle
    Schmiegsamer Macht
    Zeigt dir die Quelle
    Einstige Pracht.
    Sie musste sich gewaltsam losreißen, denn der langsam kreisende Gesang wollte sie mehr und mehr in den Quelltopf hineinziehen. Prustend tauchte sie auf, schüttelte sich das Wasser aus den Ohren und wrang das lange Haar aus. Wieder hatte sie eines dieser geheimnisvollen Lieder gehört, doch dieses Mal hatte es sehr traurig geklungen. Auch hatte sie nie zuvor solch merkwürdige Bilder gesehen, aber das war kein Wunder, denn sie war zum ersten Mal auf die verrückte Idee gekommen, ganz und gar im Wasser unterzutauchen.
    »Zeigt dir die Quelle einstige Pracht«, dachte sie verwirrt, während sie ans Ufer stieg und einen schwachen Versuch unternahm, wenigstens den Saum ihres klatschnassen Hemdes auszuwringen.
    »Ob diese schöne weiße Burg vor langer Zeit einmal hier gestanden hat?«, überlegte sie.
    Bei dem Gedanken, die kümmerlichen Mauerreste könnten alles sein, was von dem prächtigen Gebäude übriggeblieben war, verspürte sie einen tiefen Schmerz, so als habe sie etwas Kostbares verloren, das sie niemals im Leben wieder für sich gewinnen würde.
    »Ich war zu lange unter Wasser«, dachte sie. »Das macht meinen Kopf dumpf und mein Herz traurig. Schluss damit. Die Mauerreste sind sehr hübsch, und was früher hier gestanden hat, kann mir ganz gleich sein.«
    In diesem Augenblick glitt ein kleiner, dunkler Schatten über die Oberfläche des Teiches, und gleich darauf raschelte es oben im Gezweig der Haselsträucher. Der Rabe musste mehrfach anfliegen, bis er endlich einen Ast fand, der sein Gewicht tragen konnte, dann hockte er auf seinem schwankenden Sitz und glotzte mit schräggestelltem Kopf nach unten.
    Welch ein großer Bursche! Die Sonne ließ sein Gefieder bläulich glänzen, als sei es aus dunklem Achatstein gemacht, nur an der rechten Kopfseite, gleich hinter dem schwarzen Auge, leuchtete ein kleines weißes Federchen. Sie war wenig begeistert von diesem Besuch, denn bisher hatte sich noch niemals ein Rabe zu ihrem geheimen Platz verflogen. Missmutig sah sie zu ihm hinauf, nahm dann einen kleinen Stein und warf nach dem schwarzen Gast, doch der ließ sich nicht so einfach verscheuchen. Geschickt wich er dem Wurfgeschoss aus, flatterte mit den breiten Schwingen, um den Halt nicht zu verlieren und krächzte verärgert zu ihr hinunter.
    »Verschwinde!«
    Dieses Mal zielte sie besser und traf seinen spitzen schwarzen Schnabel, der Rabe ließ ein schnarrendes Geräusch hören, erhob sich in die Lüfte, doch anstatt davonzufliegen, suchte er sich nur einen anderen Ast.
    Sie gab es auf – sollte er halt dort oben hocken bleiben. Wenn er allerdings glaubte, einen guten Bissen
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