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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte
Autoren: Megan MacFadden
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sich der Rabe aus dem Gezweig, breitete die Schwingen aus und schoss direkt auf sie zu.
    Er schien größer zu werden während dieses kurzen Fluges. Als er dicht vor ihr war, erschien ihr sein spitzer Schnabel so gefährlich, dass sie sich erschrocken zusammenkrümmte und den Kopf mit den Händen schützte.
    Sie verspürte nur einen heftigen Stoß, dann strich etwas über ihren Rücken, das Ähnlichkeit mit einem Reiserbesen hatte. Es konnte unmöglich nur die Schwinge eines Raben sein, eher die eines Adlers oder eines Greifen.
    Als sie sich aufrichtete, war der Rabe verschwunden. Seine Beute, das Pergament, musste der Galgenstrick mitgenommen haben, denn es war nirgendwo zu finden.

Kapitel 2
    Am folgenden Morgen erwachte sie mit schwerem Kopf. Sie hatte nach alter Gewohnheit am Abend zuvor die Fenster geöffnet, um die frische, kühle Nachtluft in ihr Gemach zu lassen, jetzt aber zog beißender Qualm aus dem Küchenschornstein hinein. Hustend setzte sie sich auf und blinzelte in das blasse Morgenlicht, das der Küchenrauch noch zusätzlich grau färbte. Der Übereifer der Küchenleute konnte eigentlich nur einen Grund haben: Ein Bote hatte die Rückkehr ihres Vaters und seiner Ritter gemeldet.
    Ihre Laune besserte sich auf der Stelle, denn sie freute sich darauf, ihren Vater wiederzusehen. Es war jetzt zwar fürs Erste vorbei mit den heimlichen Ausflügen, aber nach den gestrigen Erlebnissen hatte sie sowieso keine große Lust mehr, an ihren Lieblingsplatz zurückzukehren.
    »Macha?«
    Die alte Magd hatte vor ihrer Tür gesessen, wie sie es oft tat, um der jungen Herrin schnell bei der Hand zu sein. Jetzt schob sie die Pforte auf, und ihr rundes, Gesicht, das stets von einer Haube aus hellen Tüchern umrahmt war, zeigte eine Mischung aus Neugier und Sorge.
    »Ich habe dich nicht geweckt, Mädchen. Du hast dich heute Nacht so unruhig in den Kissen gewälzt, dass ich fürchtete, du wärest krank.«
    Alina schüttelte den Kopf, stellte dabei jedoch fest, dass ihr Nacken ein wenig schmerzte. Auch fühlte sie sich noch etwas benommen, denn ihr Schlaf war tief und schwer gewesen.
    »Dieser Gestank macht mich krank«, murrte sie. »Was kochen die denn unten? Verkohlten Gerstenbrei mit Rabenfedern gemischt?«
    Macha kicherte und humpelte eilig durch das Zimmer, um die Fenster zu schließen. Alinas Magd war vor langer Zeit einmal die Wendeltreppe hinabgestürzt, so hatte sie Alina erzählt, dabei war ihr rechter Fuß gebrochen, der Knochen war zwar geheilt, doch der Fuß war steif geblieben und je älter Macha wurde, desto schwerer fiel ihr das Gehen.
    »Das sind die Hühner, die nach dem Rupfen geflammt werden«, erklärte sie und reckte sich, denn das Holz des Fensterflügels hatte sich verzogen, so dass man beim Öffnen und Schließen vorsichtig zu Werke gehen musste. »Später werden sie Erbsen und Bohnen kochen, dazu Gerstengrütze mit Zwiebeln und ganz sicher werden auch süße Honigküchlein gebacken.«
    Sie schob die Riegel vor und hinkte zum zweiten Fenster, während Alina aus dem Bett stieg und sich reckte, um die Schläfrigkeit loszuwerden. Nessa hatte offensichtlich vor, ihren Ehemann gut zu füttern, wahrscheinlich wollte sie ihn günstig stimmen, damit er auf ihre Wünsche einging. Seit langem schon bedrängte sie ihren Mann, die Burg am roten Berg ihrem Bruder Nemet anzuvertrauen, aber Alinas Vater hielt nicht viel von Nemet, deshalb hatte er Nessas Forderung bisher immer abgewiesen …
    Ein unwilliger Ausruf der alten Magd riss Alina aus ihren Gedanken.
    »Du bist wirklich unachtsam, Mädchen! Nun schau dir das an: Ganz nass und zerrissen. Wer das noch lesen will, der muss gute Augen haben.«
    Alina sah mit starrem Blick auf das zerfetzte Pergament in Machas Händen. Es konnte unmöglich jenes Blatt sein, das ihr der Rabe gestern gestohlen hatte. Gewiss war es nur irgendein Fetzen, den der Wind auf ihr Fenstersims geweht hatte, vielleicht gehörte es Ogyn, der ja öfter oben in seiner Turmkammer saß und irgendwelche gelehrten Sachen mit der Feder auf gutes Pergament kratzte …
    »Das … das kenne ich nicht!«
    Macha drehte das Blatt hin und her, zuckte die Schultern und versuchte dann, die eingerissenen Kanten aneinanderzufügen. Der Riss kam Alina in fataler Weise bekannt vor, ihr Nacken schmerzte plötzlich wieder, und sie erinnerte sich an die seltsamen Träume, die sie in dieser Nacht gequält hatten. Sie waren dunkel gewesen, voller angsterregender Schatten, zugleich aber auch von unbekannter
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