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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte
Autoren: Megan MacFadden
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einem Kamm zu glätten.
    »Ich bin nicht krank«, erklärte Alina lächelnd. »Stell den Trank beiseite und hilf mir.«
    »Nie kennt man sich aus mit dir!«, murrte die Alte, doch sie nahm Alina den Kamm aus der Hand und machte sich ans Werk. Alinas Haar war sanft gewellt und hatte die Farbe von rotem Gold, in der Sonne funkelte es wie eine Feuerflamme, doch auch in der Nacht schien es, als liege ein Leuchten über ihrem Haupt. Niemand sonst besaß solches Haar, auch nicht ihr Vater, König Angus, dessen Kopfhaar kraus und braun war und sich seit einiger Zeit mit weißen Fäden durchzog.
    »Au! Rupf doch nicht so fest, Macha!«
    »Halt still, Mädchen. Du hast dich heute Nacht so oft auf den Polstern hin- und hergewendet, dass es schon eine Kunst ist, dein Haar wieder glatt zu kämmen.«
    Seufzend hielt Alina dem Ziepen und Zerren stand, nahm dann den silbernen Handspiegel und betrachtete mit kritischen Augen, wie Macha einen Teil des Haares zu Zöpfen flocht, seidene Schnüre und Perlen hineinband und die Zöpfe dann am Hinterkopf zusammensteckte, so dass sie zwischen dem üppigen, offenen Haar auf ihren Rücken hinabhingen.
    »Du bist recht blass, Mädchen!«, klagte die alte Magd. »Das lange Sitzen in der stickigen Bücherkammer dort oben bekommt dir gar nicht.«
    Alina war ebenfalls dieser Meinung. Nachdenklich betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel – war sie tatsächlich blasser als sonst? Ihre Haut war sehr hell, auch im heißen Sommer wurde sie niemals braun, sie bekam auch keine Sommersprossen, wie ihre Schwiegermutter Nessa, deren Stirn und Nase mit den braunen Fleckchen gesprenkelt waren. Viele beneideten die Tochter des Königs um diese zarte, helle Haut, denn sie galt als ein Zeichen besonderer Schönheit. Alina selbst war gar nicht so glücklich über diesen Vorzug, denn bei jeder Gemütsregung, gleich ob Freude, Zorn oder Verlegenheit, überzogen sich ihre Wangen mit einer auffälligen Röte, so dass jeder ihr diese Empfindungen im Gesicht ablesen konnte.
    »Sehe ich meiner Mutter ähnlich, Macha?«
    Sie hatte diese Frage schon Hunderte Male gestellt, und immer gab Macha die gleiche, geduldige Antwort. Gewiss, sie glich ihrer Mutter, die so jung und strahlend schön gewesen sei, und so früh hatte sterben müssen.
    »Hatte sie solches Haar wie ich?«
    »Es war viel heller und glänzte wie das Mondlicht …«
    »Wurde sie auch rot, wenn sie sich aufregte?«
    »Niemals. Sie war blass und durchscheinend.«
    »Und ihre Augen?«
    »Sie glichen den deinen ganz und gar.«
    Alina hielt den runden Spiegel ein wenig näher und betrachtete ihre Augen. Wie merkwürdig sie waren, gewiss gab es weit und breit kein Mädchen, das solche Augen hatte. Als habe man kleine Federchen im Kreis gelegt, lindgrün und erdbraun, auch dunkelgrün wie das Laub des späten Sommers. Mitunter blitzten rostrote und ockergelbe Einsprengsel, es gab sogar bläulich schimmernde Flecken, die an das Gefieder eines …
    »Ein Rabe!«, rief Macha empört und zeigte mit dem Kamm in der Hand auf das Fenster. »Dieses Volk wird doch immer frecher. Wenn er nur nicht das Rotkehlchen erwischt, das immer so hübsch in der Linde singt!«
    Alinas Hand zitterte so, dass ihr Spiegelbild undeutlich wurde. Hinter den bleiverglasten Scheiben konnte man tatsächlich die Umrisse eines großen schwarzen Vogels erkennen. Er saß auf dem Fenstersims, trippelte hin und her und hackte dann doch wahrhaftig mit hartem Schnabel gegen eine der runden Butzenscheiben.
    »Dir werde ich gleich …!«, schimpfte Macha und lief zum Fenster. Doch bevor sie es öffnen konnte, breitete der Rabe die Flügel aus, stieß sich vom Sims ab und glitt mit weiten schwarzen Schwingen über den Burghof. Gleich darauf hörte man lautes Gekrächze vom Dach des Burgtors her – offensichtlich hatte der vorwitzige Bursche Ärger mit seinen Genossen bekommen.
    »Konntest du sehen, ob er neben dem rechten Auge eine weiße Feder hat?«
    Macha zupfte an ihrem Haar herum und ordnete einige Flechten.
    »Gar nichts habe ich gesehen. Nur dass er einen harten Schnabel hat, das konnte man gut hören«, knurrte sie. »Wir müssen uns vorsehen, wenn wir die Fenster öffnen. Sonst flattert er am Ende ins Zimmer hinein und bringt hier alles durcheinander.«
    Alina brauchte gar nicht in den Spiegel zu sehen, sie wusste auch so, dass ihre Wangen jetzt glühten. Die Vorstellung, dass dieser Rabe in ihr Schlafgemach eindringen könnte, erschien ihr beunruhigend, ja geradezu beängstigend. Plötzlich
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