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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte
Autoren: Megan MacFadden
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zweifelte sie nicht mehr daran, dass es der gleiche Rabe gewesen war, der sie gestern an der Quelle genarrt hatte. Sie hatte auf ihn geschossen und ihn sogar getroffen, doch er hatte so gut wie keine Angst gezeigt. Stattdessen war er losgeflogen – so klein er war, dieser schwarze Geselle, so mutig war er. Und beharrlich dazu.
    »Steh einmal auf, damit ich dir das Kleid im Rücken ein wenig fester schnüren kann«, schwatzte Macha eifrig. »Und gib auf die langen Ärmel deines Unterkleides Acht, wenn du an der Tafel sitzt. Es wäre schade, wenn du sie gleich wieder mit Gemüsebrühe und Wein bekleckern würdest …«
    Vom Turm erklangen laute Hornsignale, die Hunde kläfften aufgeregt, und im Burghof liefen die Leute zusammen, um den heimkehrenden König zu begrüßen. Alina und Macha rissen die Fensterflügel auf und stellten sich auf die Zehenspitzen, um die heranreitenden Krieger zu sehen. König Angus und seine Ritter trugen dunkle Kettenhemden unter den bunten Waffenröcken, breite Schwerter steckten in den schön verzierten Scheiden, die tödlichen Lanzen waren an den Sätteln befestigt und ragten mit blinkenden Spitzen gen Himmel. Als die Gruppe in den Burghof einritt, begannen die Raben auf dem Dach des Tores mit rauen Stimmen zu krächzen und auszuschwärmen, als wollten auch sie die Krieger willkommen heißen.
    Wenig später schritt Alina gemeinsam mit den Frauen zum festlichen Mahl in die Halle, und wie üblich richteten sich alle Blicke nur auf die junge Königstochter. Alina war hochgewachsen und schlank wie eine Gerte, das hellblaue, mit feinen goldenen Sternen bestickte Gewand schmiegte sich eng an ihren Oberkörper und floss in weichen, schattigen Falten bis auf den Boden herab. Ihr schönster Schmuck jedoch war das prächtige rotgoldene Haar, das Lichtfunken in den Raum zu sprühen schien. Alina genoss es, bewundert zu werden. Noch vor zwei Jahren hätte sich keiner dieser Männer und Frauen nach der Königstochter umgewendet, da war sie ein dünnes, blasses Kind mit langen Zöpfen, an denen die frechen Knappen sie hin und wieder zupften. Jetzt aber bekamen die Ritter glänzende Augen, wenn Alina erschien, und sie spitzten verzückt die Münder. Auch die Frauen tuschelten miteinander, und besonders Nessa hatte immer etwas zu flüstern und verzog dabei boshaft die spitze Nase. Alina hatte ihren Spaß daran, doch im Grunde waren ihr Ritter und Frauen des Hofstaates herzlich gleichgültig, einzig das Lächeln, mit dem ihr Vater sie empfing, bedeutete ihr viel, denn es sagte ihr, wie stolz er auf sie war.
    »Mein Feuerköpfchen«, sagte er schmunzelnd, als er die Arme um sie legte. »Pass auf, dass du den Saal nicht in Brand steckst.«
    Sie schmiegte sich an seine Brust und atmete für einen Augenblick seinen vertrauten Geruch ein. Trotz des prächtig bestickten Festgewands roch ihr Vater immer ein wenig nach Leder und Pferd, auch nach dem Öl, mit dem das Kettenhemd gefettet wurde.
    »Sie sollte wahrhaftig besser eine Haube tragen«, ließ sich Nessa vernehmen, die von ihrem Ehemann weit weniger herzlich begrüßt wurde. »Solches Haar ist geradezu ungehörig.«
    »Schweigt!«, herrschte Angus sie an. »Sie braucht ihre Schönheit nicht zu verbergen, denn sie ist meine Tochter und niemand würde wagen, sie anzutasten.«
    Nessa lachte grell auf, so dass es den Anschein hatte, sie habe alles nur als Scherz gemeint. Die Ritter und Frauen, die im Raum umherstanden und leise Gespräche führten, unterbrachen ihre Rede und starrten zu ihnen hinüber.
    »Es geht mir nicht um ihre Schönheit – das ist Ansichtssache«, erwiderte Nessa vernehmbar. »Meine Sorge ist, dass sie vielleicht allzu fremd erscheinen könnte. Fast so, als gehöre sie gar nicht zu uns …«
    Die Spitze war scharf geschliffen, und Alina spürte, dass der Stich saß. Während der letzten Jahre hatte Nessa öfter solche Andeutungen gemacht, sie tat es mit Fleiß und stets dann, wenn der ganze Hof es hören konnte. Ganz sicher hatte sie dabei die Absicht, die ungeliebte Stieftochter auszugrenzen, eine Fremde aus ihr zu machen, eine, die nicht zu diesem Hof gehörte. Wie ungemein boshaft diese Frau doch war!
    Der König hatte wenig Lust, vor allen Rittern und Dienstleuten mit seiner Frau zu streiten. Mit einer knappen Geste gab er dem Zeremonienmeister das Zeichen, die Hofgesellschaft um die Tafel zu versammeln, dann führte er – wie die Sitte es verlangte – seine Ehefrau Nessa zu ihrem Stuhl und nahm selbst neben ihr Platz. Alles hatte
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