Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
nahendes Unheil hin.
    Der Kamin war groß genug, die ganze Hütte und auch Kellhus mit goldener Wärme zu verwöhnen. Draußen pfiff der Winter durch die weglose Einöde des Waldes, machte sich ansonsten aber kaum bemerkbar. Nur ab und an rüttelte der Sturm so unbändig an der Hütte, dass die Pelzbündel an den Deckenhaken schaukelten. Die Gegend hier heiße Sobel – erzählte Leweth ihm oft genug – und sei die nördlichste, seit Generationen verlassene Provinz der alten Stadt Atrithau. Er ziehe es nämlich vor – setzte er gern hinzu –, weit entfernt von den Menschen und ihren Konflikten zu leben.
    Obwohl Leweth ein kräftiger Mann mittleren Alters war, sah Kellhus in ihm kaum mehr als ein Kind. Seine Gesichtsmuskeln waren völlig untrainiert und bildeten all seine Leidenschaften so prompt wie plump ab. Egal, was Leweth fühlte – gleich war es ihm anzusehen, und nach kurzer Zeit reichte Kellhus ein flüchtiger Blick in sein Gesicht, um zu wissen, was er dachte. Bald konnte er Leweths Gedanken auch vorausberechnen und die Regungen seiner Seele nachvollziehen, als habe er sie selbst erlebt.
    Allmählich hatte sich zwischen den beiden eine bestimmte Arbeitsteilung herausgebildet: Kehrte Leweth, der im Morgengrauen die Hunde anschirrte und die Hütte verließ, um seine Fallen abzuklappern, früh genug von seiner Tour zurück, trug er Kellhus auf, Fallen zu reparieren, Tiere abzubalgen oder einen Kanincheneintopf aufzusetzen und so – wie er sich ausdrückte – seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Abends war Kellhus damit beschäftigt, sich nach Anweisung des Trappers einen Mantel und eine Hose zu nähen. Leweth beobachtete ihn dann vom Feuer her, wobei seine Hände ein merkwürdiges Eigenleben führten, schnitzten, nähten oder nur miteinander rangen. Diese kleinen Tätigkeiten verliehen ihm erstaunlicherweise Geduld und sogar Anmut.
    Kellhus sah Leweths Hände nur ruhen, wenn der Trapper schlief oder volltrunken war. Sein Alkoholkonsum prägte den Fallensteller stärker als alles andere.
    Vormittags sah Leweth Kellhus nie direkt an, sondern nahm ihn nur aus den Augenwinkeln zur Kenntnis. Eine seltsame Halbheit dämpfte ihn, als ob es seinem Denken an Schwung mangelte, sich zu versprachlichen. Wenn er mal etwas sagte, dann mit gepresster Stimme, als lähme ihn ein Angstgefühl. Am frühen Nachmittag hatten seine Gesichtszüge langsam Farbe bekommen, aus seinen Augen schossen heitere Blitze, und er lächelte oft, lachte sogar. Doch bis es dunkel wurde, waren nicht allein seine Züge aufgedunsen, sondern sein ganzes Verhalten war nur mehr ein trauriges Zerrbild dessen, wie er noch Stunden zuvor aufgetreten war. Dann rüpelte er sich durchs Gespräch und wurde schubweise von Wutanfällen und zynischen Anwandlungen übermannt.
    Kellhus lernte viel aus Leweths alkoholisch aufgeblähten Leidenschaften doch irgendwann war er nicht mehr bereit, seinen Geist an das Studium grobschlächtiger Karikaturen zu verschwenden. Eines Nachts rollte er die Whiskyfässer in den Wald und schüttete sie auf dem gefrorenen Boden aus. In der Leidenszeit, die dem folgte, widmete er sich ungerührt der Hausarbeit.
     
     
    Sie saßen sich am Kamin gegenüber und lehnten sich behaglich in ihre Fellbündel zurück. Der Widerschein der Flammen überhöhte Leweths Züge, den der verständliche Ehrgeiz befeuerte, sein Leben jemandem mitzuteilen, der ihm gebannt lauschte. Beim Erzählen brach manch alte Wunde wieder auf.
    »Ich hatte keine Wahl – ich musste Atrithau verlassen«, bekannte Leweth und sprach einmal mehr von seiner toten Frau.
    Kellhus lächelte wehmütig und konzentrierte sich dabei auf das leise Spiel der Muskeln unter Leweths Gesichtszügen. Er simuliert Trauer, um sich mein Mitleid zu sichern.
    »Weil Atrithau dich dauernd an ihre Abwesenheit erinnert hat?« Genau das macht er sich vor.
    Leweth nickte mit tränennassen und zugleich erwartungsvollen Augen. »Atrithau kam mir nach ihrem Tod wie ein Grab vor. Eines Morgens musste die Bürgerwehr auf den Wällen antreten, und ich weiß noch, wie unverwandt mein Blick da nach Norden ging. Die Wälder schienen mich… heranzuwinken. Das Schreckgespenst meiner Kindheit erschien mir nun als Zuflucht! Alle in der Stadt – selbst meine Brüder und die Männer von der Bürgerwehr – schienen den Tod meiner Frau heimlich zu genießen, weil sie sich dadurch an meinem Elend weiden konnten! Ich musste… ich war regelrecht gezwungen…«
    … dich zu rächen…
    Leweth blickte ins
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher