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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch
Autoren: Markolf Hoffmann
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und gedeihen! Zu einem Ort werden, der den Menschen Zuflucht bietet. Denn das Verlies verbindet sämtliche Städte von Gharax. Alle Siedlungen, die der Mensch je gründete. Alle Trümmer, die von alten Tagen künden. Alle Kerker und Keller, die vergessen sind.« Er erhob sich. »Laßt uns die prachtvollen Bauwerke zum Leben erwecken, Baniter. Damit sie an die Oberfläche gelangen. Damit der Stein sich festigt. Damit er sichtbar wird. Denn noch ist die Stadt nur ein Entwurf, der leicht in Scherben geht! Ihr aber könnt ihn wahr werden lassen. Damit sich überall in Gharax das Verlies aus der Tiefe hebt.«
    Baniter ließ das Buch sinken. »Ich kann nicht tun, was Ihr da von mir verlangt.« Er entsann sich seines Gesprächs mit Bathos dem Scharfzüngigen, dachte an die Andeutungen und Warnungen des Geistes. »Ihr behauptet, diese Stadt solle den Menschen dienen; doch ich bezweifle es, je länger ich darüber nachdenke. Dies ist bloßer Wahn, Sardresh, Eurem kranken Hirn entsprungen; aber kein Ort, an dem es sich wirklich leben läßt.« Sardresh schüttelte tadelnd den Kopf. »Nun klingt Ihr wie Euer Großvater. Wie Norgon Geneder. Ein mutiger Mann, zweifellos. Voller Entschlußkraft. Er folgte mir in das Verlies. Er begeisterte sich für den Entwurf. Er begann, die Schriften zu lesen, so wie Ihr. Und er war bereit, über Vara zu herrschen, Kaiser Torsunt die Herrschaft zu entreißen. Damit die Wandlung beginnen konnte.« Der Baumeister seufzte. »Dann aber ließ er sich verführen. Er erlag den Einflüsterungen der Ahnen. Den Verlockungen Sternengängers. Er ließ es zu, daß Teile des Schlüssels entwendet wurden. Er reichte sie an jene weiter, die sich in das Verlies geschlichen hatten. Die fanatischen Anhänger des Weltenwanderers. Die verblendeten Seeleute.« Sardresh warf seinen Hut zu Boden. »So mußte ich Norgon am Ende aufhalten. Ihn, in den ich solche Hoffnungen setzte. Er hat mich schwer enttäuscht. Er war am Ende doch ein Kleingeist, der sich gegen die Wandlung entschied. Der meinen Entwurf nicht würdigte.«
    »Ihr habt meinen Großvater verraten?« entfuhr es Baniter. »Wie habt Ihr das angestellt?«
    »Oh, ich vergaß. Ihr wart ja noch ein Kind.« Sardresh lachte närrisch. »Wie Ihr wißt, bereitete Norgon den Umsturz damals mit den anderen Fürsten vor. Denn Torsunt hatte den Silbernen Kreis mehrfach brüskiert. Er wollte ohne die Fürsten herrschen. Das nahmen sie ihm übel. Sie wandten sich gegen ihn, und Euer Großvater stellte sich an ihre Spitze. Nur Binhipar Nihirdi blieb dem Kaiser treu. Er half Torsunt bei seiner Flucht.« Sardresh rieb seine dürren Finger. »Euer Großvater hingegen ließ drei Angehörige des Kaisers gefangennehmen, die Brüder Torsunts und einen seiner Neffen. Er ließ sie im Palast einkerkern, als wertvolle Geiseln. Dort habe ich sie aufgespürt. Denn der Palast kennt viele geheime Gänge. Ich schlich mich in den Kerker und erlöste die Gefangenen mit einem Dolch.« Sardresh fuhr sich grinsend mit dem Finger über den faltigen Hals. »Die Fürsten erfuhren bald von diesem Mord. Sie glaubten, Norgon hätte ihn befohlen. Nun fürchteten sie, den einen Tyrannen zu stürzen, um einen noch schlimmeren auf den Thron zu setzen. So schlug die Stimmung um. Der Silberne Kreis kehrte reumütig in den Schoß Torsunts zurück. Nach sechs Tagen war der Spuk vorbei, und Norgon wurde hingerichtet.« Der Baumeister zuckte mit den Schultern, eine Geste des Bedauerns. »Es war leider notwendig, ihn aufzuhalten. Er war nicht der Richtige, um Vara zu erwecken. Sein Schicksal sollte Euch eine Warnung sein.«
    Und ich sollte dir mit deinem Hut das Maul stopfen!
»Dann seid Ihr also meinem Großvater in den Rücken gefallen, als er sich von Euren Plänen lossagte. Glaubt Ihr im Ernst, ich würde vollenden, was er bereits als Wahnidee durchschaute?«
    »Aber das müßt Ihr! Ihr seid der einzige, der die Schriften lesen kann. Ich tat alles, um Euch hierherzuholen. Ich sorgte dafür, daß Ihr aus der Hand Ulimans befreit wurdet. Ich ging sogar ein Bündnis mit dieser Schlange Sinustre ein, die ja nur selbst über Vara herrschen will. Die sich als Inbegriff der Stadt versteht. Als ihre Verkörperung. All dies soll umsonst gewesen sein?« Sardreshs Blick wurde lauernd. »Nein, Baniter. Wenn Ihr nicht freiwillig das Wunder vollbringen wollt, muß ich Euch dazu zwingen. Ich kenne den Zauber, mit dem Mondschlund Euren Vorfahren in seinen Bann schlug. Denn Mondschlund war es, der einen Gründer auf seine
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