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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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ziemlich schwach.«
    »Wir sollten mit ihr ans Meer fahren«, sagte Chris ernst. »Das hat der Arzt auch vorgeschlagen.«
    »Geht leider nicht. Denk bloß an all die Stacheldrahtzäune, die man aufgestellt hat, um die Deutschen an der Landung zu hindern«, antwortete ich, ohne dem Jungen in die Augen zu sehen.
    »Man sagt, spätestens im Sommer soll alles vorbei sein«, warf Miss Marlyn ein. »Vielleicht könnt ihr dann zusammen verreisen.«
    »Vielleicht«, wiederholte ich. Was meinte sie wohl? Dass wir alle nach Südfrankreich fahren sollten? Leute wie sie reisten an solche Orte. Oder in die Schweizer Berge. Leute wie Sheila und ich jedoch blieben in Süd-London ,bis sie schwarz wurden.
    »Ich finde es hier manchmal ganz schön«, sagte Susie, die allmählich kühner wurde.
    »Aber du vergisst doch hoffentlich deine Mama nicht?«, meinte ich.
    »Es ist sicher nicht leicht für Ihre Schwägerin und Sie«, sagte Miss Marlyn. »Trotzdem glaube ich, dass es Ihnen dort in …« Sie hatte den Namen unseres Stadtteils vergessen. »… in – äh – London besser geht, als wenn sie flüchten würden wie diese hysterischen Frauen, mit denen ich ständig zu tun habe. Immer wieder tauchen sie plötzlich am Stadtrand auf und haben einen Kinderwagen und ihren halben Hausrat dabei. Wie sollen wir mit diesen Massen bloß fertig werden? Denen fehlt es bloß an Mumm in den Knochen, sagte ich kürzlich zu der Frau, die für die Einquartierungen zuständig ist.« Sie blickte geradezu kämpferisch drein, doch ihre Haltung befremdete mich. Was wusste sie schon von Luftangriffen und Verwundeten? Also nickte ich nur und kaute den letzten Bissen meines Korinthenbrötchens.
    Plötzlich fielen mir die Mitbringsel ein, die ich von zu Hause für die Kinder mitgebracht hatte. »Hier«, sagte ich und legte die Comics und eine blaue Papiertüte voller Süßigkeiten auf den Tisch. Es war nicht viel, aber immerhin das Beste, was Dobson’s diese Woche zu bieten hatte. Die Kinder fielen begeistert darüber her.
    »Und das hat deine Mama dir genäht«, sagte ich zu Susie. »Es ist ein neues Kleidchen für deinen Teddy.«
    Zwar war es nur aus Resten gemacht, aber es sah wirklich hübsch aus. Susies Augen wurden vor Freude ganz groß, dann liefen ihr zwei dicke Tränen über die Wangen. »Ich wünschte, sie wäre hier«, flüsterte sie. Also hatte sie ihre Mutter doch nicht ganz vergessen.
    »Es ist kein Teddy, sondern ein Häschen«, berichtigte Chris. »Und es heißt Betsy.« Ich fragte nicht, ob das Häschen ein Junge oder ein Mädchen war.
    »Hattest du nicht um ein Taschenmesser gebeten?«, fragte ich Chris. »Deine Mama hat dir eins besorgt.« Tatsächlich war es ein altes Taschenmesser aus meinem Besitz, und ich hatte Sheila nichts davon gesagt, weil sie sehr eigen war, was Messer in Kinderhänden anging.
    »Es ist toll«, freute sich Chris, wobei auch seine Stimme ein wenig erstickt klang. Ich nehme an, dass die Geschenke sie einerseits an ihre Mutter erinnerten, sie aber gleichzeitig mit der schmerzlichen Realität konfrontierten, dass sie nicht da war.
    »Ein Paar neue Socken wäre für Christopher eigentlich wichtiger gewesen«, sagte Miss Marlyn. Einen Augenblick lang hatte ich sie vergessen, aber jetzt sah ich sie wieder an. Ich weiß nicht, ob ich ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, aber es kam mir fast vor, als wäre sie eifersüchtig auf die kleinen Geschenke, die ich den Kindern mitgebracht hatte.
    »Ich schicke ihm ein Paar«, erwiderte ich rasch. »Vielleicht besser gleich zwei.«
    »Und in naher Zukunft sind für beide Kinder neue Schuhe fällig.«
    »Sie bekommen alles, was sie brauchen«, sagte ich bestimmt. Ich hatte durchaus nicht vor, mich von ihr einschüchtern zu lassen.
    »Man muss einfach Prioritäten setzen«, fügte sie hinzu.
    »Genau das sind Chris und Susie immer für mich gewesen. Meine Prioritäten«, erklärte ich. Das brachte sie für einen Moment zum Schweigen. Wann sind Sie eigentlich zum letzten Mal oberste Priorität für einen Menschen gewesen?, hätte ich sie fragen können, doch es gab keinen Anlass, so grausam zu sein.
    An der Tür hinten in der Küche war ein Klopfen zu hören, und mir wurde klar, dass die Tür zur Außenwelt führen musste. In diesem Haus fühlte man sich derart abgeschüttet, dass ich beinahe vergessen hätte, dass außerhalb der Mauern eine ganze Welt existierte.
    Ohne auf eine Aufforderung zu warten, traten zwei Männer ein.
    »Arthur und Danny«, sagte Miss Marlyn, »ihr kommt
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