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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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früher als erwartet.«
    »Der Lieferwagen steht in der Garage«, berichtete der jüngere Mann.
    »Und wir haben Pescod besucht, wie Sie gesagt haben«, fügte der andere hinzu.
    Miss Marlyn unterbrach ihn. »Warum setzt ihr euch nicht und trinkt eine Tasse Tee?« Zwar sprach sie in heiterem Tonfall, doch die Atmosphäre in der Küche hatte sich verändert. Die beiden Männer starrten mich an, als überlegten sie, wer ich war.
    Der Ältere war untersetzt und hatte eine Unmenge sehr schwarzer Haare, die nicht nur auf seinem Kopf, sondern auch aus seinen Nasenlöchern wuchsen. Die Augenbrauen waren ebenso schwarz wie die Haare auf seinen Handrücken, wie ich entdeckte, als er seine Handschuhe abstreifte.
    »Die restlichen Neuigkeiten können bis später warten«, sagte er, griff nach der Teekanne und schenkte sich und seinem Kumpel jeweils eine Tasse Tee ein, ehe er zwei Stühle an den Tisch zog. Die Stuhlbeine schleiften über den Steinfußboden, was mir eine Gänsehaut verursachte. Ehe er sich setzte, knöpfte er seinen Mantel auf. Darunter trug er einen Anzug mit Weste und ein Hemd mit einem altmodisch steifen Kragen. Der Anzug war alt und abgetragen und hätte dringend einer Reinigung bedurft. Außerdem passte er ihm nicht, so, als hätte er vorher einem dickeren und anders proportionierten Mann gehört. Der jetzige Eigentümer des Kleidungsstücks roch nach frischer Luft und Bier.
    Der jüngere Mann war dünner und lässiger gekleidet. Er hatte einen kleinen schwarzen Hund an der Leine, der noch im Welpenalter war. Zwar befahl er ihm, zu seinen Füßen zu sitzen, doch das Tier sprang immer wieder auf, um die Küche und die Leute am Tisch zu beschnüffeln.
    »Bonnie«, sagte Susie und ließ ihre Zahnlücken sehen. »Das ist Bonnie.« Sie kletterte von ihrem Stuhl, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, und hatte nur noch Augen für den kleinen Hund.
    Ich erwartete, dass Miss Marlyn sie für ihre Unerzogenheit rügen würde, doch sie achtete nicht darauf und sagte nur: »Das ist Alan Barnes, der Onkel der Kinder. Und dies hier sind Arthur und Danny Watts. Sie arbeiten für mich.« Irgendwie klang ihre Stimme so, als gäbe sie Befehle und hätte nicht nur eine simple Feststellung gemacht.
    Wir redeten nicht viel. Vielleicht fühlten wir uns durch Miss Marlyns gehemmt, vielleicht ging aber auch zwischen den Anwesenden etwas vor, das ich nicht verstand.
    »Ich denke, wir sollten jetzt aufbrechen«, sagte ich, nachdem ich die letzten Krumen mit dem Zeigefinger aufgenommen und dann abgeleckt hatte. Ich zog meine feuchte Jacke an, Susie streichelte den jungen Hund ein letztes Mal, und dann zogen wir in einer Art Prozession durch das Haus zur Eingangstür. Miss Marlyn zog einen Vorhang vor die Glasscheiben in der Tür, sodass kein Vorübergehender die Lichterpracht in ihrer Eingangshalle sehen konnte.

4
    Trotz des immer stärker werdenden Regens und einer Kälte, die mir beißender erschien als Frostwetter in London, spürte ich den Eifer der Kinder, die mich nach draußen zerrten und den Gartenpfad hinunterlotsten. Selbst das Tor, das mit einem satten, gut geölten Klicken schloss, zeugte von Geld. Den Eifer der Kinder schob ich auf die Aussicht auf ein bevorstehendes Vergnügen und die Freude darüber, ein bekanntes Gesicht zu sehen, das der eigenen Familie angehörte. Viele waren nicht mehr übrig. Genau genommen gab es nur noch Sheila und mich, denn Harry war vermisst gemeldet, und man glaubte nicht mehr an seine Rückkehr. Zwar hoffte Sheila noch immer, irgendwann von ihm zu hören oder dass er eines Tages vor der Tür stand, doch ich war sicher, dass mein Bruder nicht mehr lebte – vermutlich war er in so viele Stücke zerrissen, dass man ihn nicht hatten identifizieren können. Aber das würde ich Sheila natürlich nie sagen – nicht bei ihrem Gesundheitszustand.
    Wir wandten uns Richtung Innenstadt. Nachdem wir ungefähr hundert Meter zurückgelegt hatten, schlug ich vor, ein Lied zu singen, um besser voranzukommen. Und plötzlich fragte Chris, ob ich ihn und Susie mit zurück nach London nehmen würde.
    »Fahren wir jetzt endlich heim, Onkel Alan?« Susie hatte mir ihr rundes, von einer laubgrünen Kapuze umrahmtes Gesichtchen zugewandt. Sie sah aus, als hätte jemand hinter ihren blassblauen Augen ein Licht angeknipst.
    Als ich den Kopf schüttelte, sah ich die Enttäuschung in Chris’ Augen, doch er war ein tapferer Junge. Er nahm nur Susies Hand fest in seine. Das Licht in ihren Augen verschwand.
    Wir gingen
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