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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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so viel besser, dass mir die Augen schmerzten.
    Die Eingangshalle lag in der Mitte des Hauses. Von draußen konnte niemand sehen, was sie gerade getan hatte – einen Schalter betätigt und den düsteren Wintertag beschämt. Es war eine Vorstellung ganz allein für uns beide.
    Ich drehte mich langsam um mich selbst, und sie schaute mir zu, glücklich wie ein Kind über die Reaktion, die ihr Handeln bei mir hervorrief.
    Da waren Wandleuchten, die wie Kerzen aussahen und Schirme aus Messing hatten. Außerdem Lampen, die die Gemälde zur besseren Geltung brachten. In einer Ecke befand sich eine Stehlampe neben einem Sessel, in dem man nun bequem Zeitung hätte lesen können. Und in der Mitte des Raumes hing ein Kronleuchter von der Decke, dessen sämtliche Birnen aufstrahlten. Die gläsernen Anhänger waren sauber poliert und glänzten und glitzerten wie Edelsteine. Sie klirrten im leichten Luftzug, der von der Tür her kam; dabei klangen sie wie weit entfernte Schlittenglöckchen.
    Miss Marlyn vergeudete so viel Elektrizität, dass man damit die gesamte Reckitt Street sowie die angrenzenden Straßenzüge hätte beleuchten können. Heutzutage würde man einem solchen Anblick nicht die geringste Bedeutung beimessen, doch damals, nachdem man gerade erst die Verdunkelungsvorschriften ein wenig gelockert hatte, kam es mir vor, als zerrisse sie vor meinen Augen eine Fünfpfundnote nach der anderen. Vielleicht war es diese Stromverschwendung – schließlich war die Mittagszeit eben erst vorüber –, die mir vor Augen führte, in welcher Art von Haus die Kinder hier lebten.
    Die Eingangshalle war nicht nur heller als der Winterhimmel draußen, sie war auch heller als alles, was ich seit meiner Zeit in Italien gesehen hatte. In der Reckitt Street war keine Glühlampe stärker als 40 Watt, und wir schalteten alles aus, was wir nicht unbedingt brauchten.
    Ich versuchte, meine Überraschung nicht zu zeigen. Allerdings kann ich nicht behaupten, dass mich die Verschwendung abstieß, denn insgeheim freute ich mich wie ein Kind über die gelungene Vorstellung. Und ihr machte es sichtlich Spaß, mir ihren Reichtum vor Augen zu führen. Doch es war nicht allein eine Frage des Geldes, sondern auch eine Art Trotz, als wolle sie die Jahre des Entsagens nicht wahrhaben und uns allen mitteilen, dass sie sich einen Teufel darum scherte.
    »Ich hole die Kinder«, sagte sie, verschwand durch eine Tür zu ihrer Rechten und ließ mich in der Eingangshalle stehen.
    Nie zuvor war ich in einem Haus gewesen, in dem man so großzügig mit dem Platz umging. Das Haus in Peckham hatte einen schmalen Flur, der von vorn bis zur Hintertür verlief und von wo die Treppe fast unmittelbar hinter der Eingangstür nach oben führte. Doch die Eingangshalle hier war geräumig und quadratisch. Auf dem polierten Holzfußboden lag ein Teppich in allen Schattierungen von Rot bis Rostfarben. An den Wänden hingen Bilder – hauptsächlich Ölgemälde von Bäumen, Seen und purpurnen Bergen. Außerdem fand sich dort zwar keine Ahnenreihe, doch zumindest einige düstere Konterfeis von Männern, die möglicherweise Ratsherren oder Mitglieder der Handelskammer gewesen waren. Nur eines der Porträts stellte eine Frau dar, eine herrisch wirkende alte Hexe, die Miss Marlyn so ähnlich sah, dass sie gut und gern ihre Schwester hätte sein können. An sonnigen Tagen warfen die bunten Glasscheiben in der Eingangstür vermutlich helle Edelsteinsprenkel auf den Boden, wie in einer Kirche. Niemand würde es hier wagen, Hut und Mantel einfach fallen zu lassen, wie wir es zu Hause zuweilen taten.
    Mehrere Türen führten aus der Eingangshalle hinaus, und ich überlegte gerade, was um alles in der Welt sie verbergen mochten, als Miss Marlyn mit Chris und Susie eintrat. Die Kinder, die sie an der Hand hielt, verlangsamten Miss Marlyns sonst vermutlich langen und raschen Schritt. Die beiden halten sie am Boden, dachte ich. Sie kann nicht aufsteigen und fliegen, solange sie sie festhält. Unmittelbar unter dem Kronleuchter blieben sie stehen. Die drei Gestalten unter den flirrenden Lichtpunkten wirkten wie ein Bild in einem Buch. Aber nicht wie die Illustration eines Märchens, sondern wie eine dieser düsteren Szenen aus dem Bürgerkrieg, als man Kinder zum Verhör vorführte. Deine Einbildungskraft geht mir dir durch, Alan, sagte ich mir. Sie sind doch wirklich freundlich zueinander.
    Miss Marlyn drängte die Kinder vorwärts, doch sie schienen nicht recht zu wollen und blieben hinter
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