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Schande

Schande

Titel: Schande
Autoren: J. M. Coetzee
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Shaw.
       
     
      Ein Freund von Bill Shaw verkauft ihm einen Pickup, einen Halbtonner, für den er mit einem Scheck über 1000
      Rand und einem zweiten über 7000 Rand, auf das Monatsende vordatiert, bezahlt.
      »Wofür wollen Sie ihn benutzen?« fragt der Mann.
      »Für Tiere. Hunde.«
      »Dann brauchen Sie hinten Stangen, damit sie nicht rausspringen. Ich kenne jemanden, der Ihnen die Stangen anbringen kann.«
      »Meine Hunde springen nicht.«
      Laut Fahrzeugpapieren ist der Pickup zwölf Jahre alt, aber der Motor klingt noch tadellos. Und außerdem muß er ja nicht ewig halten, sagt er sich. Nichts muß ewig halten.
      Auf eine Annonce in Grocott’s Mail hin mietet er sich in einem Haus nicht weit vom Krankenhaus ein.
      Er gibt seinen Namen mit Lourie an, zahlt eine Monatsmiete im voraus, erzählt der Wirtin, daß er zur ambulanten Behandlung in Grahamstown ist. Er sagt nicht, was für eine Behandlung, weiß aber, daß sie glaubt, er habe Krebs.
      Er gibt das Geld mit beiden Händen aus. Egal.
      In einem Campinggeschäft kauft er einen Tauchsieder, einen kleinen Gaskocher, einen Aluminiumtopf. Als er das alles in sein Zimmer hochschafft, trifft er seine Wirtin auf der Treppe. »Auf den Zimmern ist Kochen nicht gestattet, Mr. Lourie«, sagt sie. »Wegen Brandgefahr, wissen Sie.«
      Das Zimmer ist dunkel, stickig, mit Möbeln vollgestopft, die Matratze mit klumpiger Füllung. Aber er wird sich daran gewöhnen, wie er sich an anderes gewöhnt hat.
      Es gibt noch einen anderen Untermieter, einen pensionierten Lehrer. Sie begrüßen sich beim Frühstück, sonst sprechen sie nicht miteinander. Nach dem Frühstück begibt er sich in die Tierklinik und bleibt tagsüber dort, jeden Tag, einschließlich sonntags.
      Die Klinik wird, mehr als die Pension, zu seinem Zuhause. In dem kahlen Hof hinter dem Gebäude schafft er sich so etwas wie einen Zufluchtsort, mit einem Tisch und einem alten Sessel von den Shaws und einem Sonnenschirm, um die stärkste Sonne abzuhalten. Er schafft den Gaskocher her, um Tee zu machen oder Büchsennahrung aufzuwärmen: Spaghetti und Fleischbällchen, Hechtmakrele und Zwiebeln. Zweimal täglich füttert er die Tiere; er macht ihre Käfige sauber und redet gelegentlich mit ihnen; sonst liest er oder döst, oder wenn er allein auf dem Gelände ist, sucht er sich auf Lucys Banjo die Musik zusammen, die er Teresa Guiccioli übertragen will.
      Bis das Kind geboren ist, wird das sein Leben sein.
      Eines Morgens schaut er hoch und sieht die Gesichter von drei kleinen Jungen, die ihn über die Betonmauer betrachten. Er steht auf; die Hunde fangen zu bellen an; die Jungen lassen sich herunterfallen und flitzen aufgeregt schreiend davon. Was für eine Geschichte sie zu Hause zu erzählen haben: ein verrückter Alter, der mitten unter den Hunden sitzt und sich etwas vorsingt!
       
     
      In der Tat verrückt. Wie kann er nur erklären, den Jungen, ihren Eltern, der ganzen Siedlung D, was Teresa und ihr Liebhaber getan haben, daß sie es verdienen, wieder auf diese Welt geholt zu werden?

  24. Kapitel
 
      In ihrem weißen Nachthemd steht Teresa am Schlafzimmerfenster. Ihre Augen sind geschlossen. Es ist die dunkelste Stunde der Nacht: sie atmet tief, atmet das Rauschen des Windes ein, das Brüllen der Ochsenfrösche.
      »Che vuol dir«, singt sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern – »Che vuol dir questa solitudine immensa? Ed io« , singt sie – »che sono?«
      Stille. Die solitudine immensa antwortet nicht. Selbst das Trio in der Ecke ist mucksmäuschenstill.
      »Komm!« flüstert sie. »Komm zu mir, ich flehe dich an, mein Byron!« Sie breitet die Arme weit aus, umarmt die Dunkelheit, umarmt, was sie bringen wird.
      Sie wünscht, daß er mit dem Wind kommt, daß er sich um sie schlingt, sein Gesicht im Tal zwischen ihren Brüsten birgt. Oder aber sie wünscht, daß er mit dem Morgengrauen kommt, am Horizont wie ein Sonnengott aufsteigt und das Glühen seiner Wärme auf sie wirft. Um jeden Preis will sie ihn zurück.
      An seinem Tisch im Hundehof sitzend, lauscht er der traurigen, fallenden Melodie von Teresas Flehen, während sie in die Dunkelheit hinausblickt. Das ist eine schlechte Monatszeit für Teresa, sie ist wund, sie hat kein Auge zugetan, sie ist hager vor Sehnsucht. Sie will erlöst werden – vom Schmerz, von der Sommerhitze, von der Villa Gamba, von der Übellaunigkeit ihres Vaters, von allem.
       
     
      Sie nimmt die Mandoline
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