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Schande

Schande

Titel: Schande
Autoren: J. M. Coetzee
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vom Stuhl, wo sie gelegen hat. Das Instrument wie ein Kind im Arm haltend, kehrt sie zum Fenster zurück. Plink-plank macht die Mandoline in ihren Armen, leise, um den Vater nicht zu wecken.
      Plink-plank plärrt das Banjo in dem verlassenen Hof in Afrika.
      Nur etwas, um mich daran auszuprobieren, hatte er zu Rosalind gesagt. Eine Lüge. Die Oper ist kein Hobby, nicht mehr. Sie verzehrt ihn Tag und Nacht.
      Aber trotz gelegentlicher guter Momente ist die Wahrheit, daß Byron in Italien nicht vorankommt. Es gibt keine Handlung, keine Entwicklung, nur eine lange, ausgedehnte Kantilene, von Teresa in die leere Luft geschleudert, hin und wieder vom Stöhnen und Seufzen Byrons in den Kulissen unterbrochen. Der Ehemann und die Rivalin sind vergessen, könnten ebensogut gar nicht existieren.
      Der poetische Impetus in ihm ist vielleicht nicht tot, aber nach Jahrzehnten der Vernachlässigung kann er nur ausgezehrt, verbogen, deformiert aus seinem Versteck gekrochen kommen. Er hat nicht die musikalischen Mittel, hat nicht die Kraft, Byron in Italien von den monotonen Geleisen herunterzuholen, auf denen das Stück von Anfang an gelaufen ist. Es ist zu einem Werk geworden, wie es ein Schlafwandler verfassen könnte.
      Er seufzt. Es wäre angenehm gewesen, als Verfasser einer exzentrischen kleinen Kammeroper triumphal in die Gesellschaft zurückzukehren. Aber daraus wird nichts.
      Seine Hoffnungen müssen bescheidener sein: daß irgendwo aus dem Chaos von Klängen eine einzige authentische Note der ewigen Sehnsucht aufsteigen wird, wie ein Vogel. Er wird es den Gelehrten der Zukunft überlassen, die zu erkennen, vorausgesetzt, es gibt dann noch Gelehrte.
       
     
      Denn er wird die Note nicht selbst erkennen, wenn sie kommt, falls sie kommt – er weiß zuviel über Kunst und wie Kunst funktioniert, um das zu erwarten. Obwohl es für Lucy angenehm gewesen wäre, den Beweis noch zu ihren Lebzeiten zu hören und etwas besser von ihm zu denken.
      Die arme Teresa! Die arme, sich verzehrende Frau! Er hat sie aus dem Grab zurückgeholt, ihr ein anderes Leben versprochen, und nun läßt er sie im Stich. Er hofft, daß sie es über sich bringt, ihm zu verzeihen.
      Unter den Hunden in den Käfigen ist einer, für den er mit der Zeit eine besondere Zuneigung entwickelt hat. Es ist ein junger Rüde mit einem verkümmerten linken Hinterbein, das er nachzieht. Ob der Hund so zur Welt kam, weiß er nicht. Kein Besucher hat Interesse gezeigt, ihn zu adoptieren. Seine Gnadenfrist ist bald um; bald wird er sich der Nadel unterwerfen müssen.
      Manchmal, wenn er liest oder schreibt, befreit er das Tier aus dem Käfig und läßt es auf seine groteske Weise im Hof herumhüpfen oder zu seinen Füßen dösen. Es ist in keinem Sinn »sein« Hund; er hat sich gehütet, ihm einen Namen zu geben (obwohl Bev Shaw ihn Driepoot nennt); trotzdem spürt er, daß ihm von dem Tier eine großzügige Zuneigung entgegenströmt. Willkürlich, bedingungslos, ist er adoptiert worden; der Hund würde für ihn sterben, weiß er.
      Der Klang des Banjos fasziniert den Hund. Wenn er auf den Saiten klimpert, setzt sich der Hund aufrecht hin, legt den Kopf schief, lauscht. Wenn er Teresas Melodie summt und das Summen vor Gefühl anschwillt (es ist, als schwelle der Kehlkopf an – er fühlt das Blut in der Kehle pulsen), schmatzt der Hund mit den Lippen, und es sieht so aus, als würde er auch gleich zu singen oder zu heulen anfangen.
      Würde er sich das trauen: einen Hund in das Stück hineinzubringen, ihm zu gestatten, seine eigene Klage zwischen den Strophen der liebeskranken Teresa gen Himmel heulen zu lassen? Warum nicht? Sicher ist in einem Werk, das nie aufgeführt werden wird, alles erlaubt?
       
     
      Samstag vormittags geht er, wie abgemacht, zum Donkin Square, um Lucy beim Marktstand zu helfen. Hinterher führt er sie zum Essen aus.
      Lucy bewegt sich nun langsamer. Sie hat einen versunkenen, friedlichen Ausdruck angenommen. Ihre Schwangerschaft ist noch nicht offensichtlich; aber wenn er Anzeichen wahrnimmt, wie lange kann es dann noch dauern, bis auch die adleräugigen Töchter von Grahamstown sie wahrnehmen?
      »Wie kommt Petrus voran?« fragt er.
      »Das Haus ist fertig, bis auf die Zimmerdecken und die Klempnerarbeiten. Sie sind dabei, einzuziehen.«
      »Und ihr Kind? Steht der Geburtstermin nicht kurz bevor?«
      »Nächste Woche. Alles gut geplant.«
      »Hat Petrus noch mehr Winke mit dem Zaunpfahl gegeben?«
     
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