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Schande

Schande

Titel: Schande
Autoren: J. M. Coetzee
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herum haben. Ich bin bereit, alles zu tun, jedes Opfer zu bringen, nur um Frieden zu haben.«
      »Und ich bin Teil von dem, was du zu opfern bereit bist?«
      Sie zuckt mit den Schultern. »Das habe nicht ich gesagt, du hast es gesagt.«
      »Dann werde ich meine Sachen packen.«
       
     
      Stunden nach dem Vorfall juckt ihm noch die Hand von den Schlägen. Wenn er an den Jungen und seine Drohungen denkt, kocht er vor Zorn. Gleichzeitig schämt er sich.
      Er verurteilt sich entschieden. Er hat niemandem eine Lektion erteilt – bestimmt nicht dem Jungen. Er hat nur erreicht, daß er sich Lucy noch mehr entfremdet hat. Er hat sich ihr von Leidenschaft überwältigt gezeigt, und ganz offenbar gefällt ihr nicht, was sie sieht.
      Er sollte sich entschuldigen. Aber er kann nicht. Es scheint so, als habe er sich nicht in der Gewalt. Pollux hat etwas, das ihn wütend macht: seine häßlichen, kleinen dunklen Augen, seine Unverschämtheit, doch ebenso der Gedanke, daß er wie ein Unkraut seine Wurzeln mit Lucy und Lucys Existenz verquicken durfte.
      Wenn Pollux seine Tochter wieder beleidigt, wird er ihn wieder schlagen. Du mußt dein Leben ändern! Nun, er ist dafür zu alt, zu alt, um sich zu ändern. Vielleicht ist Lucy in der Lage, sich dem Sturm zu beugen; er kann es nicht, nicht ehrenhaft.
      Deshalb muß er auf Teresa hören. Teresa ist vielleicht die letzte, die ihn noch retten kann. Für Teresa spielt Ehre keine Rolle mehr. Sie reckt ihre Brüste der Sonne entgegen; sie spielt in Gegenwart der Diener Banjo und kümmert sich nicht darum, wenn sie grinsen. Sie hat unsterbliche Sehnsucht, und sie singt von ihrer Sehnsucht.
      Sie wird nicht tot sein.
       
     
      Er erreicht die Tierklinik, als Bev Shaw gerade weggehen will. Sie umarmen sich, zaghaft, wie Fremde. Kaum zu glauben, daß sie einander nackt im Arm gelegen haben.
      »Ist das ein Besuch, oder wirst du eine Weile bleiben?« fragt sie.
      »Ich bleibe so lange wie nötig. Aber ich werde nicht bei Lucy wohnen. Wir beide kommen nicht miteinander aus. Ich suche mir ein Zimmer in der Stadt.«
      »Das tut mir leid. Was ist denn das Problem?«
      »Zwischen Lucy und mir? Nichts, hoffe ich. Nichts, was nicht geklärt werden kann. Das Problem sind die Leute, mit denen Lucy zusammenlebt. Wenn ich noch dazukomme, werden wir zu viele. Zu viele auf zu kleinem Raum. Wie Spinnen in einer Flasche.«
      Vor ihm taucht ein Bild aus dem Inferno auf: der große Sumpf des Styx, in dem Seelen hochschießen wie Pilze.
      Vedi l’anime di color cui vinse l’ira. Seelen, von Zorn überwältigt, die sich gegenseitig benagen. Eine dem Verbrechen angemessene Strafe.
      »Du sprichst von diesem Jungen, der zu Petrus gezogen ist. Ich muß gestehen, daß er nicht vertrauenerweckend aussieht. Aber solange Petrus da ist, hat Lucy sicher nichts zu befürchten. Vielleicht ist jetzt die Zeit für dich gekommen, David, dich zurückzuhalten und es Lucy zu überlassen, Wege für sich zu finden. Frauen sind anpassungsfähig.
      Lucy ist anpassungsfähig. Und sie ist jung. Sie ist bodenständiger als du. Als wir beide.«
      Lucy und anpassungsfähig? Das hat er so nicht erlebt.
      »Du sagst mir ständig, ich soll mich zurückhalten«, sagt er.
      »Wenn ich mich von Anfang an zurückgehalten hätte, was wäre aus Lucy geworden?«
      Bev Shaw schweigt. Gibt es etwas an ihm, das Bev Shaw sehen kann und er nicht? Weil die Tiere ihr vertrauen, sollte auch er ihr vertrauen, daß sie ihn etwas lehren kann? Tiere vertrauen ihr, und sie benutzt dieses Vertrauen, um sie zu liquidieren. Was ist hier die Lehre?
      »Wenn ich mich zurückhalten würde«, redet er stockend weiter, »und ein neues Unglück auf der Farm geschehen würde, wie könnte ich dann ruhig weiterleben?«
      Sie zuckt mit den Schultern. »Geht es denn eigentlich darum, David?« fragt sie ruhig.
      »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht mehr, worum es eigentlich geht. Zwischen Lucys Generation und meiner ist anscheinend ein Vorhang gefallen. Ich habe nicht einmal gemerkt, wann er gefallen ist.«
      Ein langes Schweigen breitet sich zwischen ihnen aus.
       
     
      »Jedenfalls kann ich nicht bei Lucy wohnen«, fährt er fort, »deshalb suche ich ein Zimmer. Wenn du zufällig von einem Zimmer in Grahamstown hörst, laß es mich wissen. Aber ich bin in erster Linie gekommen, um zu sagen, daß ich wieder für Hilfsarbeiten in der Tierklinik zur Verfügung stehe.«
      »Das trifft sich gut«, sagt Bev
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