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Schande

Schande

Titel: Schande
Autoren: J. M. Coetzee
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Apparat?«
      »Sagen Sie ihr, David Lurie möchte sie sprechen.«
      Melanie – Melodie: ein trügerischer Reim. Kein guter Name für sie. Verlagere den Akzent. Meláni: die Dunkle.
      »Hallo?«
      Aus dem einen Wort hört er ihre ganze Unsicherheit heraus. Zu jung. Sie weiß nicht, wie sie mit ihm umgehen soll; er sollte sie in Ruhe lassen. Aber etwas hat ihn gepackt. Der Schönheit Ros’: das Gedicht trifft sein Ziel wie ein Pfeil. Sie gehört sich nicht selbst; vielleicht gehört auch er sich nicht selbst.
      »Ich hab mir gedacht, vielleicht möchtest du mit mir essen gehen«, sagt er. »Ich hole dich ab, sagen wir, um zwölf.«
      Sie kann ihm immer noch eine Lüge auftischen, sich herauswinden. Aber sie ist zu verwirrt, und der Augenblick verstreicht.
       
     
      Als er bei ihr ankommt, wartet sie auf dem Gehweg vor ihrem Wohnblock. Sie hat schwarze Leggings und einen schwarzen Pullover an. Ihre Hüften sind schmal wie die einer Zwölfjährigen.
      Er fährt mit ihr nach Hout Bay, zum Hafen. Während der Fahrt versucht er, sie zu beruhigen. Er erkundigt sich nach ihren anderen Lehrveranstaltungen. Sie spielt in einem Stück mit, sagt sie. Sie braucht das für ihr Diplom.
      Die Proben nehmen viel Zeit in Anspruch.
      Im Restaurant hat sie keinen Appetit und starrt bedrückt aufs Meer hinaus.
      »Fehlt dir was? Willst du darüber reden?«
      Sie schüttelt den Kopf.
      »Machst du dir Sorgen wegen uns beiden?«
      »Kann schon sein«, sagt sie.
      »Das brauchst du nicht. Ich passe auf, daß es nicht zu weit geht.«
      Zu weit. Was heißt ›weit‹, was heißt ›zu weit‹ bei einer solchen Affäre? Versteht sie dasselbe unter ›zu weit‹ wie er?
      Es hat angefangen zu regnen: das Wasser strömt nur so herab und treibt über die leere Bucht. »Wollen wir gehen?« fragt er.
      Er nimmt sie mit nach Hause. Auf dem Boden des Wohnzimmers liebt er sie, während der Regen gegen die Fenster prasselt. Ihr Körper ist klar und einfach, auf seine Art vollkommen; obwohl sie passiv bleibt, ist der Akt für ihn lustvoll, so sehr, daß er vom Höhepunkt in einen völlig entrückten Zustand gleitet.
      Als er wieder zu sich kommt, hat der Regen aufgehört.
      Das Mädchen liegt unter ihm, mit geschlossenen Augen, die Hände schlaff über dem Kopf, die Stirn leicht gerunzelt. Seine Hände sind unter ihrem grobmaschigen Pullover und liegen auf ihren Brüsten. Ihre Leggings und ihr Slip liegen zusammengeknüllt auf dem Boden; seine Hosen hängen ihm um die Knöchel. Nach dem Sturm, denkt er – geradewegs aus der Bildwelt von George Grosz.
      Mit abgewandtem Gesicht befreit sie sich, sammelt ihre Sachen auf und verläßt das Zimmer. Wenige Minuten später ist sie zurück, angekleidet. »Ich muß gehen«, flüstert sie. Er versucht nicht, sie zurückzuhalten.
      Am nächsten Morgen wacht er auf und fühlt sich durch und durch wohl, und dieses Gefühl verschwindet nicht.
      Melanie ist nicht im Seminar. Von seinem Dienstzimmer aus ruft er eine Blumenhandlung an. Rosen? Vielleicht doch nicht. Er bestellt Nelken. »Rot oder weiß?« fragt die Frau. Rot? Weiß? »Schicken Sie zwölf rosa Nelken«, sagt er. »Ich habe keine zwölf rosa Nelken. Soll ich einen gemischten Strauß schicken?« »Ja, schicken Sie einen gemischten Strauß«, sagt er.
      Den ganzen Dienstag über fällt Regen aus schweren Wolken, die der Wind aus westlicher Richtung über die Stadt treibt. Als er am Ende des Tages durch die Eingangshalle seines Fachbereichs geht, entdeckt er sie an der Tür in einem Knäuel von Studenten, die alle auf das Ende des Regengusses warten. Er tritt hinter sie, legt ihr die Hand auf die Schulter.
      »Warte hier auf mich«, sagt er. »Ich fahre dich nach Hause.«
      Er kommt mit einem Schirm zurück. Als sie zum Parkplatz hinübergehen, zieht er sie näher an sich heran, um sie trocken zu halten. Ein plötzlicher Windstoß stülpt den Schirm um; unbeholfen rennen sie gemeinsam zum Auto.
       
     
      Sie hat einen gelben Regenmantel an; im Auto setzt sie die Kapuze ab. Ihr Gesicht ist gerötet; er sieht, wie sich ihre Brust hebt und senkt. Sie leckt sich einen Regentropfen von der Oberlippe. Ein Kind! denkt er: Nur ein Kind!
      Was mache ich da? Aber sein Herz taumelt vor Verlangen.
      Sie fahren durch dichten spätnachmittäglichen Verkehr.
      »Ich habe dich gestern vermißt«, sagt er. »Ist alles in Ordnung?«
      Sie antwortet nicht und starrt auf den Scheibenwischer.
      An einer roten
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