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Schande

Schande

Titel: Schande
Autoren: J. M. Coetzee
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Wohnzimmer hinter den Büroräumen des Diskreten Begleitservice vorgestellt, dort waren Jalousien vor den Fenstern, Topfpflanzen in den Winkeln, und kalter Rauch hing in der Luft. Sie stand unter »exotisch« in ihrem Katalog. Das Foto zeigte sie mit einer roten Passionsblüte im Haar und kaum wahrnehmbaren Fältchen in den Augenwinkeln.
       
     
      Der Eintrag sagte: »nur nachmittags«. Das gab für ihn den Ausschlag: das Versprechen abgedunkelter Zimmer, kühler Laken, heimlicher Stunden.
      Es war von Anfang an befriedigend, genau das, was er wollte. Ein Volltreffer. Seit einem Jahr hat er nicht mehr zur Agentur gehen brauchen.
      Dann das unglückliche Zusammentreffen in der St George’s Street und die Entfremdung, die darauf folgte.
      Auch wenn Soraya noch zu ihren Verabredungen erscheint, so spürt er doch eine wachsende Kälte, während sie sich in irgendeine beliebige Frau verwandelt und ihn in irgendeinen beliebigen Kunden.
      Er hat eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie Prostituierte unter sich über die Männer sprechen, die zu ihnen kommen, besonders über die älteren von ihnen. Sie erzählen Geschichten, sie lachen, aber sie schaudern auch, wie man vor einer Schabe im Waschbecken mitten in der Nacht schaudert. Schon bald wird man gehässig vor ihm schaudern und sich ekeln. Diesem Schicksal kann er nicht entgehen.
      Am vierten Donnerstag nach dem Vorfall macht Soraya, als er gerade gehen will, die Ankündigung, auf die er sich innerlich vorbereitet hat. »Meine Mutter ist krank.
      Ich nehme frei, um sie zu pflegen. Nächste Woche werde ich nicht hier sein.«
      »Treffe ich dich dann die darauffolgende Woche?«
      »Ich weiß es nicht genau. Es hängt davon ab, wie es ihr geht. Ruf lieber vorher an.«
      »Ich habe keine Telefonnummer.«
      »Ruf die Agentur an. Sie wissen dann Bescheid.«
      Er wartet ein paar Tage und ruft dann die Agentur an.
      Soraya? Soraya ist nicht mehr bei uns, sagt der Mann.
       
     
      Nein, wir können Sie nicht mit ihr in Verbindung bringen, das wäre gegen die Hausregeln. Möchten Sie, daß wir Ihnen eine andere Begleiterin vorstellen? Wir haben jede Menge exotische Frauen zur Auswahl – Malaiinnen, Thaifrauen, Chinesinnen, Sie brauchen nur zu wählen.
      Er verbringt einen Abend mit einer anderen Soraya – Soraya ist offenbar ein beliebter nom de commerce geworden – in einem Hotelzimmer in der Long Street. Diese ist nicht älter als achtzehn, unerfahren, für sein Empfinden gewöhnlich. »Was machst du so?« fragt sie, während sie sich auszieht. »Export – Import«, sagt er. »Ach ja?« sagt sie.
      In seinem Fachbereich gibt es eine neue Sekretärin. Er lädt sie zum Essen in ein Restaurant ein, das sich in diskreter Entfernung vom Campus befindet, und hört ihr zu, als sie sich beim Krabbensalat über die Schule ihres Sohnes beschwert. Dealer treiben sich bei den Sportplätzen herum, sagt sie, und die Polizei tut nichts. Seit drei Jahren stehen sie und ihr Mann im neuseeländischen Konsulat auf einer Liste Einwanderungswilliger. »Ihr hattet es leichter. Mal abgesehen davon, wie gerecht oder ungerecht es zugegangen war, ihr wußtet jedenfalls, woran ihr wart.«
      »Ihr?« sagte er. »Wer – ihr?«
      »Ich meine, eure Generation. Jetzt entscheiden die Leute selber, welche Gesetze sie befolgen wollen. Das ist Anarchie. Wie kann man Kinder großziehen, wenn ringsum Anarchie herrscht?«
      Sie heißt Dawn. Als er sich zum zweiten Mal mit ihr verabredet, gehen sie in sein Haus und schlafen miteinander. Es ist ein Mißerfolg. Sie bäumt sich auf und kratzt und arbeitet sich in schäumende Erregung, die ihn am Ende abstößt. Er borgt ihr einen Kamm und fährt sie zum Campus zurück.
       
     
      Danach weicht er ihr aus und meidet tunlichst das Büro, wo sie arbeitet. Sie reagiert darauf mit verletzten Blicken, dann schneidet sie ihn.
      Er sollte aufgeben, vom Feld gehen. Wie alt war Origenes, fragt er sich, als er sich kastrierte? Das ist nicht die eleganteste Lösung, aber das Altern ist keine elegante Angelegenheit. Ein Klarschiffmachen wenigstens, damit man sich der wahren Aufgabe der Alten zuwenden kann: der Vorbereitung auf das Sterben.
      Könnte man sich an einen Arzt wenden und darum bitten? Gewiß eine recht einfache Operation – mit Tieren wird das täglich ausgeführt, und die Tiere überleben das problemlos, wenn man von einer gewissen zurückbleibenden Traurigkeit absieht. Durchtrennen, abbinden – mit örtlicher
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