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Schande

Schande

Titel: Schande
Autoren: J. M. Coetzee
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aufgefallen war. Ihre Freude, die ganz ungekünstelt ist, bereitet ihm Vergnügen.
      Es wundert ihn, daß ihm neunzig Minuten weibliche Zuwendung pro Woche reichen, um ihn glücklich zu machen, wo er einst geglaubt hatte, daß er eine Frau, ein Heim, eine Ehe brauchen würde. Seine Bedürfnisse sind ganz leicht, wie sich am Ende nun herausstellt, leicht und flüchtig, wie die eines Schmetterlings. Kein Gefühl, oder nur das tiefste, das unerwartetste: ein Grundton der Zufriedenheit, wie das Summen des Verkehrs, das den Städter einlullt, oder wie die Stille der Nacht für die Landbevölkerung.
      Er denkt an Emma Bovary, die von einem Nachmittag hemmungslosen Fickens befriedigt und mit glasigem Blick nach Hause kommt. Das ist also die Seligkeit! sagt Emma und bewundert sich im Spiegel. Das ist also die Seligkeit, von der die Dichter sprechen! Nun, wenn die arme gespenstische Emma jemals hier in Kapstadt auftauchen sollte, dann würde er sie eines Donnerstagnachmittags mitnehmen, um ihr zu zeigen, was Seligkeit sein kann: eine maßvolle Seligkeit, eine gemäßigte Seligkeit.
       
     
      Und dann wird eines Samstagmorgens alles anders. Er hat etwas in der Stadt zu erledigen; er geht durch die St George’s Street, als er vor sich in der Menge eine schlanke Gestalt erblickt. Es ist unverkennbar Soraya, eingerahmt von zwei Kindern, zwei Jungen. Sie tragen Päckchen; sie kommen vom Einkaufen.
      Zuerst zögert er, dann folgt er in einigem Abstand. Sie verschwinden in Captain Dorego’s Fischrestaurant. Die Jungen haben das glänzende Haar von Soraya und ihre dunklen Augen. Das können nur ihre Söhne sein.
      Er geht weiter, kehrt um, läuft ein zweites Mal an Captain Dorego's Restaurant vorbei. Die drei sitzen an einem Fenstertisch. Einen kurzen Moment blickt ihn Soraya durch die Fensterscheibe an.
      Er ist immer ein Stadtmensch gewesen, zu Hause im Dahintreiben von Körpern, wo Eros lauert und Blicke wie Pfeile fliegen. Aber diesen Blick, den er mit Soraya gewechselt hat, bereut er sofort.
      Bei ihrer Zusammenkunft am nächsten Donnerstag erwähnt keiner das zufällige Treffen. Trotzdem schwebt die Erinnerung über ihnen und verstört sie. Ihm liegt nichts daran, ein schwieriges Doppelleben, was es ja für Soraya bedeuten muß, zu gefährden. Er befürwortet Doppelleben nachdrücklich, doppelte und dreifache Lebensweisen, Leben als Nischendasein. Wenn er überhaupt etwas empfindet, dann größere Zärtlichkeit für sie. Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben, würde er gern sagen.
      Doch weder er noch sie können beiseite schieben, was geschehen ist. Die beiden kleinen Jungen werden zwischen ihnen lebendig, sie spielen still wie Schatten in einem Winkel des Zimmers, in dem ihre Mutter und der fremde Mann sich paaren. In Sorayas Armen wird er vorübergehend zu ihrem Vater: Adoptivater, Stiefvater, Schattenvater. Wenn er danach ihr Bett verläßt, spürt er, wie ihre Blicke verstohlen und neugierig über ihn huschen.
      Seine Gedanken wandern, ohne daß er es will, zu dem anderen Vater, dem richtigen. Ahnt er dunkel, was seine Frau treibt, oder hat er die Seligkeit der Unwissenden gewählt?
       
     
      Er selbst hat keinen Sohn. Seine Kindheit hat er in einer Familie der Frauen verbracht. Als Mutter, Tanten, Schwestern wegfielen, wurden sie zu gegebener Zeit von Geliebten, Ehefrauen, einer Tochter ersetzt. Seine weibliche Umgebung machte aus ihm einen Liebhaber von Frauen und bis zu einem gewissen Grad einen Weiberhelden. Bei seiner Größe, seiner ansehnlichen Gestalt, dem dunklen Teint und wallenden Haar konnte er immer mit einer gewissen Anziehungskraft rechnen. Wenn er eine Frau auf gewisse Weise, mit einer gewissen Absicht ansah, dann erwiderte sie seinen Blick, darauf konnte er sich verlassen. So lebte er; jahrelang, jahrzehntelang, das war das Rückgrat seines Lebens.
      Und dann war eines Tages alles vorbei. Ohne Vorwarnung wich seine Anziehungskraft von ihm. Blicke, die einst den seinen geantwortet hätten, glitten über ihn, an ihm vorbei, durch ihn hindurch. Über Nacht wurde er zum Gespenst. Wenn er eine Frau haben wollte, mußte er sie verfolgen lernen; oft mußte er sie auf die eine oder andere Art kaufen.
      Sein Leben war bestimmt von der ängstlichen Betriebsamkeit der Promiskuität. Er hatte Affären mit den Frauen von Kollegen; in den Bars an der Seepromenade oder im Club Italia gabelte er Touristinnen auf; er schlief mit Nutten.
      Soraya wurde ihm in einem düsteren kleinen
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