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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Tommie Goerz
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Punkt. Der ganze Sinn der Etzikstenz, wie Helge Schneider es ausdrückte. Der ist auch nur aus reinem Zufall kein Franke.
    Friedo Behütuns saß an solchen Nachmittagen gerne allein im Eck, bewegte sich nicht, nur in ihm drin, da bewegten sich die Gedanken. Erst schnell, dann langsam und immer langsamer, und schließlich bewegte sich nur noch die Welt, die Gedanken standen still. Sie standen und kämmten die Welt, die zwischen ihnen hindurchraste. Das waren die besten Momente. Dann wurde ihm schwer und leicht zugleich, doch eher leicht, ganz innen wie eine Heiterkeit, nach außen getarnt durch Schwermut. Das war nicht zu beschreiben. Doch Tatsache war: In diesem Vergessen, diesem sinnlosen Spreizen der Gedanken, löste er seine meisten Fälle. Nur leider – solche Wirtshäuser gab es immer weniger. Drei oder vier davon kannte er noch, und diese brauchte er auch. Deshalb werden sie auch nicht verraten. Und er war ständig auf der Suche nach »neuen alten«. Neue neue dieser Art gab es nicht. Sie waren eine aussterbende Rasse. Hin und wieder aber fand er noch eins. Relikte in einer Welt der »Events« und der zwanghaften Fröhlichkeit.
    Und wo wir schon gerade dabei sind: Friedo Behütuns hatte noch weitere Hobbys. Was für ein blödes Wort. Aber »Vorlieben« war auch nicht besser. »Vergnügen« vielleicht. Er sammelte dies und das. Leserbriefe zum Beispiel, die anders waren. Oder Anzeigen, meistens von Ärzten. Denn die konnten kein Deutsch, kannten die Sprache nicht. Sprachen zwar den ganzen Tag mit den Menschen, aber hörten nicht zu. Drangen nicht ein in die Tiefe der Sprache mit ihren vielen Doppel- und Mehrdeutigkeiten und versteckten Bedeutungen. Diese Anzeige zum Beispiel, von einem Arzt namens Apoll, so wie der griechische Gott des Lichts, der Helligkeit, was an sich ja schon komisch genug war: »Wir ziehen um in eine neue Praxis«, war dort zu lesen. Und weiter: »Zur Verstärkung unseres Teams suchen wir engagierte und kompetente Arzthelferinnen mit besonderem Interesse an der Endoskopie …«, und so weiter und so fort. Die wussten doch nicht, was sie schrieben. Wie pervers muss denn einer sein, der ein »besonderes Interesse an der Endoskopie« hat? Den lieben langen Tag und aus purer Lust irgendwelchen Menschen etwas in irgendwelche Öffnungen, bevorzugt in den Hintern, zu schieben? Doch genau so jemanden suchten die! Nicht wirklich, das war ihm schon klar, aber so stand es da. Ärzte, unsere Elite. Apoll, Lichtergottarzt. Das war nicht viel besser als das Möbelhaus »Die mit dem roten Stuhl«. Da geht man doch zum Arzt, wenn man das hat, dachte sich Behütuns – wahrscheinlich zu Dr. Apoll. Da schließt sich dann der Kreis.
    Oder diese Anzeige eines wichtigen Dr. med. Dr. phil. in Weiß: »Praxisauflösung. Nach 56 Jahren ärztlicher Tätigkeit, davon 47 Jahre als niedergelassener Nervenarzt, habe ich mich entschlossen, zum Jahresende meine Praxis aufzugeben. Ich danke meinen Patienten für das mir entgegengebrachte Vertrauen. In manchen Fällen war es schon die dritte Generation, die ich behandeln durfte.« Tja, fragte sich da Friedo Behütuns: Schon in der dritten Generation und noch immer plemplem? Was hat der denn nur getan all die Zeit, dieser Arzt? Geheilt ja wohl eher nicht … Kundenpflege könnte man es nennen, mit generationenübergeifendem Erfolg.
    Ja, versteckte Gemeinheiten und Fallstricke bot das Leben viele. Auch ein Eigentor war in seiner Sammlung dabei. Denn einmal, da hatte er der Presse in einem Mordfall ein Paar Schuhe gezeigt, die man schon kaum mehr als Schuhe bezeichnen konnte. Nur die Sohlen waren noch da, als Turnschuhsohlen deutlich erkennbar, doch darum herum alles abgeschnitten. Kein Mensch kann so etwas tragen, das funktioniert nicht einen einzigen Schritt. Trotzdem hatte die Presse am Tag darauf ein Foto gebracht – und blöd darunter geschrieben: »Die Polizei fragt: Wer kennt diese Schuhe?« … Und er hatte die Ermittlungen geleitet! Für wie blöd mussten die Leute ihn halten, und auch die Polizei! Egal. Man musste darüber lächeln. Heute hing dieses Bild, gerahmt, bei ihm an der Wand.
    In seiner Leserbriefsammlung hatte er aber auch einen, der ihm komplett aus der Seele sprach. Eine Frau Dr. Torga Legenz aus Lauf empörte sich darin über das Engagement von Savitas beim Club. Über die Dreistigkeit dieses Unternehmens und über die Dummheit des Clubs. Aber dumm war der Club ja schon immer, es hieß nicht umsonst: »Der Glubb is a Debb«. Diese Frau Dr. Legenz
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